Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Warum „Superfood“gar nicht so super ist
Ernährungswissenschaftlerin Monika Endermann warnt bei VHS-Vortrag in Blaubeuren vor Zusatzstoffen
BLAUBEUREN (sz) - Die gesellschaftliche Verantwortung der Lebensmittelindustrie und der Handelsketten hat Monika Endermann, Oecotrophologin mit eigener Praxis im Gesundheitszentrum Blaubeuren, bei einem VHS-Vortrag zu „Ernährungstrends“am vergangenen Donnerstag im Kleinen Großen Haus Blaubeuren betont.
Es gebe „gute Gründe“, über bewusstes Essen nachzudenken: „Ernährungsabhängige Erkrankungen wie Arteriosklerose, Bluthochdruck, Diabetes, Fettstoffwechselstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Niereninsuffizienz ebenso wie unzählige Lebensmittelunverträglichkeiten zwingen dazu“, so die VHS.
Seit 2014 besteht für die Lebensmittelindustrie eine Deklarationspflicht für 14 Hauptallergene wie glutenhaltige Getreide, Eier, Fische, Erdnüsse, Sojabohnen, Milch. Das Credo der Ernährungswissenschaftlerin: Keine Ernährungstherapie oder Diät ohne vorhergehende Diagnose.
Sie stellte historisch geordnet zunächst verschiedene alternative Ernährungsformen vor, an denen sich in heutiger Zeit verbreitete Trends orientieren. Anfang des vergangenen Jahrhunderts entstand durch die Industrialisierung der Bedarf an haltbaren und immer verfügbaren Nahrungsmitteln – und damit die Lebensmittelindustrie. Als Gegenbewegung dazu entwickelte sich anthroposophische Ernährung oder die Trennkost. Vollwerternährung nach Leitzmann wurde 1981 in Deutschland begründet. Sie beinhaltet überwiegend gering verarbeitete, lakto-vegetabile Nahrungsmittel, „die die vielfältig relevanten Weltbezüge berücksichtigen“(Ökologie, Umwelt, Tierwohl, Nachhaltigkeit, Ethik). Ernährungstrends im Überblick Vegetarische Kost sei grundsätzlich positiv, bei Eisenmangel müsse aber entgegengewirkt werden durch rote Beete, Linsen, Pfifferlinge, Haferflocken und Spinat, so Monika Endermann. Kritisch jedoch seien stark verarbeitete, zusatzstoffreiche Ersatzprodukte. Studien zufolge erleiden Vegetarier seltener Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs, Gelenkerkrankungen und seien überdies meist Nichtraucher mit geringem Alkoholkonsum. Veganismus ist nach Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Ernährung kritisch zu sehen, abzuraten sei er besonders Schwangeren, Stillenden, Säuglingen, Kindern und Jugendlichen. Dauerhaft müssten mindestens B12-Präparate zugeführt werden. Mangelerscheinungen können zu Rückenmarksschäden, geistiger Retardierung, Anämie, Sehstörungen und Osteoporose führen.
Häufig verwende die Lebensmittelindustrie versteckte tierische Inhaltsstoffe: So Cochenille-Schildläuse für rote Konfitüren oder Süßwaren, zur Klärung von Wein die Schwimmblase vom Stör, Chips enthalten Aromen vom Schwein und Ausscheidungen
der asiatischen Lackschildlaus würden Schokolade glänzen lassen.
Von ausschließlicher Rohkost sei abzuraten: Es komme sonst zu zahlreichen Mangelerscheinungen wie verminderter Knochendichte und Zahnsubstanz, Anämie oder erhöhten Blutfettwerten.
Die im Trend liegende Paleo-Diät verweist auf die Zeit vor Ackerbau und Viehzucht: Verzehrt wird nur, was gejagt, gesammelt und gefischt werden kann. Ergebnis ist ein hoher Fleischkonsum, der Niere und Leber belastet, Kohlehydrate und Calcium fehlen nahezu.
„Clean-Eating“– seit 2007 – entspricht quasi der Vollwerternährung von 1981: Vollwertige, frische, weitgehend naturbelassene Lebensmittel werden verzehrt und auf Zucker, Weißmehl und industriell verarbeitete Lebensmittel mit Zusatzstoffen und Geschmacksverstärkern weitgehend verzichtet. Auf dem Einkaufszettel stehen saisonales Gemüse, Obst, Nüsse, pflanzliche Öle, Vollkornprodukte, wenig Fleisch und Milchprodukte.
Vor „Superfood“wie Chia-Samen, Acai- und Goji-Beeren warnte die Expertin: Die Herkunftsländer seien Südamerika und Asien, die Rückstandsbelastungen oft extrem hoch. Daher gebe das Bundesinstitut für Risikobewertung Warnhinweise zum Verzehr. Wechselwirkungen zu Arzneien verändern deren Wirkspiegel. Auch seien Plagiate im Umlauf, wenn der Verkauf die Ernte übersteigt. Heimische Obst-und Gemüsesorten seien eindeutig empfehlenswerter, vor allem die alten Sorten. Auf Nahrungsergänzungsmittel könne man bei ausgewogener täglicher Ernährung verzichten, so der Rat der Expertin.
Monika Endermann, stellte außerdem brandneue Studienergebnisse zu Ernährung und Mortalität sowie zur Microbiota (Darmflora) und deren immensen Einfluss auf Immunsystem und unzählige Erkrankungen vor. Eine Rückbesinnung auf althergebrachte Herstellungsmethoden wie Fermentation („Naturjoghurt“, „Sauerkraut“) sowie der Verzicht auf über 340 zugelassene Zusatzstoffe wäre nach Ansicht der Referentin ein sinnvoller nächster Trend. Viele interessierte Fragen des Publikums schlossen sich an den Vortrag.