Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
EU kämpft gegen Tachobetrug
Mögliche Datenbank für Kilometerstände von Gebrauchtwagen gibt auch keine Sicherheit
STUTTGART - Gebrauchtwagenkäufer können Bremsen überprüfen und sich die Stoßdämpfer genauer ansehen, um die Qualität des Autos zu überprüfen. Problematisch wird es aber beim Kilometerstand. Denn ob daran jemand gedreht hat, ist kaum nachzuweisen. Nach ADAC-Angaben bezahlen die Käufer deshalb im Durchschnitt rund 3000 Euro zu viel für ihr Auto – eine neue Datenbank könnte Abhilfe schaffen.
Der nachfolgende Fall ist so passiert: Ein Kunde aus Frankreich kauft einen Ford S Max Minivan in Stuttgart. Der Tacho zeigt 98 000 Kilometer. Doch wenig später muss der Familienwagen in die Werkstatt – es bleibt nicht bei nur einem Besuch. Ein Gutachter stellt schließlich fest, dass das Auto mindestens 198000 Kilometer gefahren sein muss. Das sind 100 000 Kilometer mehr. Das Zentrum für Europäischen Verbraucherschutz in Kehl schildert diesen Fall und illustriert damit die Problematik, die hinter gefälschten Kilometerständen steckt.
Während früher große kriminelle Energie, eine Bohrmaschine und handwerkliches Geschick nötig waren, um den Tachostand zurückzudrehen, reicht heute ein etwa 150 Euro teures Gerät aus dem Internet. Über die Onboard-Diagnosebuchse kann damit der Kilometerstand in Sekundenschnelle verändert werden. „Das ist nichts anderes als Betrug am Kunden“, sagt Dietmar Clysters. Er ist KfZ-Meister in der Nähe von Heidelberg und Sprecher des Deutschen Kraftfahrzeuggewerbes.
Kaum nachprüfbar
„Wenn der Zahnriemen nicht pünktlich gewechselt wird, dann ist das Sicherheitsrisiko hoch. Denn wenn der Riemen reißt, ist der Motor kaputt“, sagt er. Die Allianz-Versicherung führt als Beispiel auch das drohende Versagen von Bremsen auf. Denn wenn die Bremsflüssigkeit nicht pünktlich getauscht werde, könne es zu einer geringeren Bremswirkung oder sogar dem kompletten Ausfall der Bremsen kommen.“
Den Verbraucherschützern aus Kehl an der französischen Grenze schwebt als Lösung das System Carpass vor, wie es bereits in Belgien genutzt wird. Dabei trägt jeder Mechaniker, Autohändler oder Servicetechniker bei Kontakt mit dem Auto den Kilometerstand in das CarpassSystem ein. Auf diese Weise wird eine lückenlose Nachvollziehbarkeit des Tachostandes ermöglicht. Für den Fahrzeughalter ist der Vorgang kostenfrei und bei einem Verkauf müssen die Daten vorgelegt werden.
Am 25. April diskutiert der Verkehrsausschuss des Europaparlaments erneut über Tachomanipulation. Er will einheitliche Regelungen auf europäischer Ebene. Die existierende Fahrzeugdatenbank EUCARIS könnte dabei genutzt werden, um Kilometerstände zu vermerken und so den grenzüberschreitenden Gebrauchtwagenverkauf sicherer zu machen. „Bereits seit 2016 setzen wir uns bei der EU-Kommission für die Einführung des Carpasses ein. Daher begrüßen wir es sehr, dass über eine europaweite Standardisierung beraten wird“, erklärt Bernd Krieger, Leiter des Europäischen Verbraucherzentrums Deutschland.
Anders sieht das Christian Schäfer, Technikexperte des ADAC Württemberg. Mit hoher krimineller Energie ließe sich auch dieses System umgehen. Wenn zum Beispiel regelmäßig wenige Kilometer zurückgedreht würden, fiele das in der Summe gar nicht auf. Damit würden sich Wartungsintervalle deutlich nach hinten verschieben. „Dann bringt auch die beste Datenbank nichts.“Außerdem käme die Einführung des Systems einem Ritterschlag für alle bereits manipulierten Fahrzeuge gleich. „Man kann die Manipulation nicht nachprüfen, wenn sie gut gemacht wird“, ist er sich sicher. Eine zentrale Datenbank müsste beim Kraftfahrzeugbundesamt angesiedelt werde, fordert Dietmar Clysters. „Aber das ist teuer, relativ schwierig zu kontrollieren und auch manipulierbar“, ist er sich sicher. Deshalb lehnt er den Ausweis für das Auto ab – auch aus datenschutzrechtlichen Bedenken.
Lösung für Neuwagen
Eine Lösung für Neuwagen hat die Europäische Union bereits im vergangenen Jahr auf den Weg gebracht. Seit September müssen Fahrzeuge, die von den Autobauern neu zugelassen werden, einen nicht manipulierbaren Kilometerzähler eingebaut haben. Möglich könnte das eine speziell geschützte Softwarelösung machen. ADAC-Mann Schäfer will diese Einbauten jedenfalls genau überprüfen, sobald sie auf dem Markt sind. „Wir wollen schauen, ob das was bringt, der Aufwand für Betrüger muss hoch sein“, sagt er.
Schäfer weist darauf hin, dass nur Modelle diesen Schutz haben müssen, die vom Autobauer für eine neue Typenzulassung angemeldet werden. Bekommt ein Fahrzeug lediglich leichte Veränderungen, ein sogenanntes Facelift, muss auch der Tachoschutz noch nicht eingebaut werden. Die Gesetzesänderung für die Neuwagen sei überfällig gewesen, sagt Clysters. Aber vor allem glaubt er, dass Profis weiter die Möglichkeit zur Manipulation haben werden. Nur die Hürden würden deutlich steigen. Fünf bis sieben Jahre dauert es nach Schätzung der Experten, bis flächendeckend Autos mit Manipulationsschutz auf dem Gebrauchtwagenmarkt auftauchen.