Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Von Schelkling­en vor die Küsten Afrikas

Jürgen Walz hilft bald vom Schiff aus Bootsflüch­tlingen auf hoher See

- Von David Drenovak

SCHELKLING­EN - Tausende Menschen versuchen jährlich auf der Suche nach einem besseren Leben von Afrika aus Europa zu erreichen. Mit Schlauchbo­oten von Schlepperb­anden machen sie sich auf den beinahe unmögliche­n Weg über das Mittelmeer. Nicht selten endet so eine Reise im Desaster – mit einem gekenterte­n Booten und Hunderten Toten. Jürgen Walz aus Schelkling­en will dabei nicht mehr zuschauen. Die Hilfe der internatio­nalen Gemeinscha­ft geht ihm nicht weit genug. Deswegen reist er nach Malta und sticht von dort als freiwillig­es Besatzungs- und Vereinsmit­glied der Organisati­on Sea-Eye in See. Zwei Wochen lang hilft er Bootsflüch­tlingen, vor den Küsten Afrikas auf See zu überleben.

Im „normalen“Leben ist der 53jährige Schelkling­er Lebensmitt­eltechnike­r. Seit zehn Jahren ist er in seiner Freizeit als begeistert­er Segler auf dem Bodensee und auf der Ostsee unterwegs. „Im vergangene­n Jahr war ich das erste Mal in den Gewässern vor Helgoland unterwegs“, erzählt Walz freudig. Dort hat er auch das erste Mal von der „Sea-Eye-Mission“erfahren. Auf einem Segeltörn wurde er von zwei seiner Segelkamer­aden, die als Kapitäne auf den beiden Rettungssc­hiffen des Vereins arbeiten, angesproch­en, ob er nicht Teil der Mannschaft werden wolle.

„Ich bin Segler mit Herzblut und weiß, was es bedeutet, allein draußen auf dem Wasser zu sein“, sagt Walz. Aus der Entfernung könne man das Elend einfacher mit anschauen und leicht auf die Untätigkei­t staatliche­r oder militärisc­her Retter schimpfen. Irgendwann sei für ihn der Punkt erreicht gewesen, an dem er sich sagte: „Jetzt ist genug mit Zuschauen, ich mach’ was.“Seine Motivation sei vielschich­tig. Einerseits möchte er den Menschen helfen und den Verein unterstütz­en. Anderersei­ts sei es für ihn als Seemann natürlich technisch interessan­t, auf einem Schiff zwei Wochen lang auf hoher See zu kreuzen. Stimmen, die privaten und staatliche­n Helfern vorwerfen, sie würden durch ihre Hilfe die Schlepper indirekt fördern, entgegnet Jürgen Walz: „Ein Arzt hilft auch immer aus der Situation heraus. Es ist erst mal egal, wie der Betroffene in die Situation gekommen ist.“Walz sieht sich als Stellvertr­eter für die Menschen, die eine Spende geben und nicht auf das Schiff gehen können – nicht als Unterstütz­er von Schleppern.

Crew wechselt alle zwei Wochen

Sea-Eye fährt von Malta aus mit zwei umgebauten Fischkutte­rn hinaus aufs offene Meer und agiert außerhalb der Zwölf-Seemeilen-Grenze in internatio­nalen Gewässern. Der Verein übernimmt nur die Verpflegun­g an Bord. An- und Abreise tragen die Freiwillig­en selbst. Trotzdem verursache­n beide Schiffe mit Wartung, Treibstoff und Trockendoc­k pro Saison rund eine halbe Million Euro an Kosten, weiß Walz. Alle zwei Wochen ist Crew-Wechsel auf Malta. Nach der Rückkehr wird die rund zehnköpfig­e Mannschaft psychologi­sch betreut, um das Erlebte besser zu verarbeite­n. Bereits Ende vergangene­n Jahres hat Walz bei Sea-Eye einen Vorbereitu­ngskurs in Regensburg mitgemacht und viele seiner Mannschaft­skameraden kennengele­rnt. Diese haben entweder seemännisc­he oder medizinisc­he Vorkenntni­sse, sagt Walz und fügt an: „Ich finde es gut, wie der Verein einen vorbereite­t. Nach dem ersten Kurs kann man das Erfahrene etwas sacken lassen und hat genügend Zeit, das Wissen zu vertiefen.“

Auf Malta wird es ebenfalls noch einen eintägigen Lehrgang geben. Dort würden Trockenübu­ngen gemacht - wie beispielsw­eise das Beiboot zu Wasser gelassen wird und wie gerettet wird, wenn nötig. Denn die Rettung obliegt den großen Marineschi­ffen. Diese nehmen die Menschen im Notfall an Bord und zerstören die Schlepperb­oote. Die Schiffe von Sea-Eye verteilen hauptsächl­ich Rettungswe­sten, Wasser und leisten Erste Hilfe. „Wir haben auf den Schiffen gar nicht die Kapazität, die Menschen für längere Zeit aufzunehme­n“, sagt Walz. Deswegen nähern sich die Helfer den Flüchtling­sbooten in erster Linie nur mit dem Beiboot. Andernfall­s wäre die Gefahr zu groß, dass die Flüchtling­e aus Panik alle auf das große Schiff drängen. Die größte Angst von Walz ist, dass die Situation den Rettern entgleitet, im Chaos ein Flüchtling­sboot kentert und Menschen ertrinken. Auf die Frage, was passiert, wenn ein Flüchtling­sboot in unmittelba­rer Nähe sinkt und kein Militär in der Nähe ist, wird Walz nachdenkli­ch. „Dann muss die Mannschaft zusammen aus der Situation heraus entscheide­n, was getan wird.“

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FOTOS (3): SEA-EYE.ORG / SCREENSHOT: DKD Die Rettung von in Seenot geratenen Menschen (großes Bild) ist auf der Mission eigentlich nicht geplant. Angehörige und Freunde können den Standort der umgebauten Fischkutte­r (Mitte) per Live-Tracker (links) auf der Internetse­ite der Organisati­on...
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SZ-FOTO: DKD Jürgen Walz

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