Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Unbekannte werfen Flugblätter vom Ulmer Münster
Zettel enthalten Auszügen aus Schriften der Geschwister Scholl – Aktion ist strafrechtlich unbedeutend
ULM (krom) - Der Himmel hoch über dem Ulmer Münster ist blau, der Frühling da. Auf dem Platz vor der Kirche tummeln sich Hunderte Menschen, es ist Markt. Doch plötzlich schneit es: Wie kann das sein? Und tatsächlich: Es rieselt vom Himmel, Papierzettel – wie Schneeflocken. Viele gucken verdutzt nach oben.
So passiert am Mittwoch in Ulm. In einer geschlossenen Facebook-Gruppe, in der vor allem Themen rund um Ulm und Neu-Ulm eine Rolle spielen, wurde ein Video davon gepostet und bereits mehrfach geteilt sowie kommentiert. Es handelt sich nicht um irgendwelche Zettel, die nach Angaben einer Sprecherin des Polizeipräsidiums Ulm gegen 13.15 Uhr vom Ulmer Münsterturm geworfen wurden. Die waren bedruckt mit der Überschrift „Flugblätter der Weißen Rose“. Und darunter Auszüge aus Flugschriften, die die Ulmer Geschwister Sophie und Hans Scholl aus Widerstand gegen die Diktatur des Nationalsozialismus verfasst hatten. „Nichts ist eines Kulturvolkes unwürdiger, als sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique ‚regieren‘ zu lassen“, heißt es zum Beispiel in der ersten Zeile eines Flugblattes.
Die Ulmer Volkshochschule, die die Denkstätte der Weißen Rose in Ulm betreut, sei für die Aktion nicht verantwortlich, so eine Mitarbeiterin auf Nachfrage: „Wir wissen nichts davon. So etwas Außergewöhnliches hätten wir mitbekommen.“Auch beim Hans und Sophie-Scholl-Gymnasium weiß man von nichts. „Am 22. Februar, dem Todestag der Geschwister Scholl, haben wir im Münster Zettel hochgeworfen“, sagt Schulleiterin Karin Höflinger-Schwarz: „Aber das jetzt war niemand von uns.“
Der Ulmer Polizei ist der Vorfall zwar bekannt, wer und auch welche Intention hinter der Aktion steckt, sei bislang aber unklar. „Die Kollegen ermitteln und haben den Vorfall überprüft“, so die Polizeisprecherin. „Es wurden auch zwei Personen gesehen, eine Frau und ein Mann, die möglicherweise etwas damit zu tun haben könnten.“Die Personen sollen um die 20 Jahre alt sein. „Aber wir wissen nicht, wer der Mann und die Frau sind und ob sie überhaupt etwas damit zu tun haben.“
Warum die Flugblätter gerade am vergangenen Mittwoch, 4. April, vom Ulmer Münster geworfen wurden, ist derzeit ebenfalls ein Rätsel. In der Geschichte der Weißen Rose gibt es keinen bedeutenden Jahrestag am
4. April. Einzig: Auf dem Platz vor der Universität in München, der nach den Geschwistern Scholl benannt ist, erinnern in den Boden eingelassene steinerne Flugblätter an die Weiße Rose. Diese wurden in der Nacht auf den
4. April 2006 von Unbekannten zerstört.
Das Werfen der Flugblätter vom Ulmer Münster ist strafrechtlich eher unbedeutend. „Es wurden ja keine Personen verletzt“, so die Polizeisprecherin. Auch der darauf abgedruckte Text sei unproblematisch. Jedoch sei es eben auch nicht erlaubt, einfach so einen Stapel Papier irgendwo abzustellen.