Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Biete gesponserten Jagdausflug, suche Stimme für Tjumen
Der Biathlon-Weltverband IBU sieht sich jetzt auch mit dem Verdacht konfrontiert, seine Obersten seien käuflich
KÖLN (SID/sz) - Bezahlte Jagdausflüge, Besuche bei Prostituierten, Stimmenkauf: Die in einem Bericht der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) formulierten Vorwürfe gegen den zurückgetretenen Biathlon-Boss Anders Besseberg gehen weit über die Vertuschung russischer Dopingproben hinaus. Der WADA-Report, der der ARD-Dopingredaktion vorliegt, legt nahe, dass Russland mit Hilfe von Bestechung seit mehr als einem Jahrzehnt im Weltverband IBU quasi Narrenfreiheit genossen hat.
Nicht nur der Biathlon-Eklat belegt zudem, dass der russische Staatsdopingskandal noch längst nicht ausgestanden ist. Die WADA bestätigte der ARD, dass die Auswertung der Daten aus dem Moskauer Kontrolllabor 9000 auffällige Proben ans Tageslicht befördert hat, die geschätzt 4500 Athleten betreffen.
Die WADA hat mittlerweile 60 Sportverbände informiert, die unter WADA-Anleitung die Verdachtsfälle untersuchen sollen. Im vergangenen November war die oberste Anti-Doping-Behörde durch einen Whistleblower an das sogenannte Laboratory Information Management System (LIMS) des Moskauer Kontrolllabors gelangt. Die gigantische Datensammlung beinhaltet alle Testergebnisse zwischen Januar 2012 und August 2015.
Die Behörden, die gegen den mittlerweile zurückgetretenen norwegischen IBU-Präsidenten Besseberg und die deutsche Generalsekretärin Nicole Resch ermitteln, gehen unterdessen nicht nur dem Verdacht nach, dass seit 2011 65 Dopingfälle russischer Biathleten vertuscht worden seien. Die WADA wirft Besseberg vor, dass dieser sich in den vergangenen 15 Jahren von den Russen nach allen Regeln der Kunst hat schmieren lassen. Von bezahlten Jagdausflügen nach Russland ist die Rede, von der Vermittlung von Prostituierten.
Besseberg soll als Gegenleistung unter anderem im Jahr 2016 die Vergabe der WM 2021 an die russische Stadt Tjumen forciert haben, obwohl der Staatsdopingskandal gerade den Weltsport erschütterte. Für den Stimmenkauf zugunsten Tjumens, so behauptet die WADA, sollen bis zu 100 000 Euro an Mitglieder des IBU-Boards geflossen sein. Im Februar 2017 zog die IBU die WM-Zusage für Tjumen auf öffentlichen Druck wieder zurück.
Besseberg habe sich gegenüber Russland „unglaublich loyal und unterstützend“gezeigt, schreibt die WADA. Resch habe im Verband praktisch die alleinige Hoheit über das Doping-Verwaltungsprogramm gehabt und anderen IBU-Mitarbeitern den Zugang verwehrt. Das alles soll unter anderem dazu beigetragen haben, dass in der vergangenen Saison im Welt- und im IBU-Cup 17 von 22 russischen Athleten gedopt an den Start gegangen sind – und unbehelligt blieben.
Die seit Ende 2017 laufenden Ermittlungen der österreichischen Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKSTA) in Wien gegen Besseberg und Resch sowie russische Sportler und Betreuer gehen weiter. Die WKSTA bestätigte dem norwegischen Fernsehsender NRK am Montag, dass gegen zehn Personen wegen Dopingbetrugs und gegen zwei Personen – bei ihnen dürfte es sich um Besseberg und Resch handeln – wegen Korruption ermittelt werde.