Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Die Geschichte aus der Erde holen
160 Grabungstechniker treffen sich in Ulm - Die Sorge um die Zukunft ihrer Branche ist groß, dabei sind die Karrierechancen exzellent
ULM/NEU-ULM - Hans Lang steht in Riemensandalen aus braunem Leder am Rednerpult des Ulmer Stadthauses und stellt klar: „Viele Grabungstechniker glauben, ein Fundplatz ist eine Jungfrau und sie wären die ersten dort – ein Trugschluss.“Lang weiß, wovon er spricht. 30 Jahre hat er in Erde und Schlamm gewühlt, nach den großen archäologischen Funden in der Region. Ob bei den Grabungen auf dem Münsterplatz, bei denen entlang der Neuen Straße oder beim Grab einer Frau der Glockenbecherkultur. Lang war dabei und man sieht es der sonnengegerbten Haut an, dass er viel Zeit im Freien verbracht hat.
Historische Funde retten
Als Grabungstechniker ist er heute das, was viele fälschlicherweise unter einem Archäologen verstehen. Im Sommer wie im Winter kommt er an Baustellen, wo ein Bagger plötzlich gegen Knochen, uraltes Holz oder Ton stößt, und fängt an, zusammen mit einem Team von den historischen Funden zu retten, was zu retten ist. Von Zaungästen bekomme er dann gerne zu hören: „Die streicheln ja nur die Erde, das geht so langsam voran und das von meinen Steuergeldern.“So beschreibt Lang seinen Beruf, von dem er sagt, dass er ihn liebe. Der Archäologe hingegen sei heutzutage eher der Architekt, der aus seinem Planungsbüro heraus das gesamte Projekt koordiniert.
In dieser Woche bis zum heutigen Samstag findet im Ulmer Stadthaus die erste Fachtagung des Verbands für Grabungstechnik und Feldarchäologie statt. Hans Lang ist einer der ersten Redner und berichtet über seinen beruflichen Werdegang. Der Verband ist gerade erst zwei Jahre alt geworden. Knapp 160 Teilnehmer sind aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, aber auch aus Luxemburg und Istanbul angereist. Sie wollen sich austauschen und vor allem dem Beruf des Grabungstechnikers zu mehr Popularität verhelfen.
Die Branche hat nämlich ein gewaltiges Problem: Zahlreiche Stellen sind unbesetzt und ein Wandel scheint nicht in Sicht. „Die meisten, die sich für Geschichte interessieren, landen an der Universität“, sagt Thomas Schenk, Vorsitzender des Verbands und Professor in Berlin – an Deutschlands einzigem Lehrstuhls für Grabungstechnik. Dadurch wühlen sich die potenziellen Fachkräfte später mehr durch Bücherstapel der Uni-Bibliothek als durch Knochen und Tonscherben, die da draußen unter der Erde ruhen.
Dabei sind die Voraussetzungen nicht allzu hoch und die Karrierechancen exzellent: Um Grabungstechniker zu werden, bedarf es weder Abitur noch Hochschulabschluss. Wer eine Ausbildung absolviert und die Gesellenprüfung bestanden hat, kann sich zum Grabungstechniker fortbilden lassen. „Jeder, der bei uns einen Abschluss macht, bekommt einen Job“, versichert Dirk Krause, Landesarchäologe von Baden-Württemberg und Professor an der Uni Tübingen. Er schwärmt: „Wenn man sich vorstellt, man steht vor einem keltischen Grab und ist der Erste, der das freilegt, dann ist das einfach was ganz Besonders.“Und so können weder er noch seine Kollegen nachvollziehen, warum immer weniger junge Leute auf diesen Job Lust haben.
Mannschaft anleiten
„Hauptsache ist, man ist mit dem Herz dabei, man muss wollen, dass die Dinge erhalten bleiben“, sagt Lang, „und man sollte keine zwei linken Hände haben“. Außerdem schade es nicht, eine gewisse Führungsmentalität mitzubringen, schließlich muss der Grabungstechniker eine ganze Mannschaft an Hilfskräften koordinieren.
Und um wirklich auch dem letzten Römersäulenbanausen die Faszination seines Berufs deutlich zu machen, bedient sich Lang gerne eines Gedichts von Friedrich Schiller. Es besagt: Während die Zukunft immer in Ferne bleibt und die Gegenwart sofort verzogen ist, schenkt einem die Vergangenheit alle Zeit, sich mit ihr auseinanderzusetzen.