Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Verliebt in Vietnam
Im Mekongdelta und in Saigon auf den Spuren der Schriftstellerin Marguerite Duras und ihres Liebhabers
Meine Mutter sagt mir manches Mal, nie mehr in meinem Leben würde ich so schöne Flüsse sehen wie diesen hier, so groß, so wild, wie den Mekong und seine Nebenarme, die den Ozeanen zuströmen, diesen Wasserflächen, die in den Höhlungen der Ozeane langsam verschwinden.“(Aus „Der Liebhaber“von Marguerite Duras).
Vor fast 100 Jahren ist die 1996 verstorbene Schriftstellerin Marguerite Duras an den Ufern des Mekong aufgewachsen. Vietnam hieß damals noch Französisch-Indochina. Erst 1954 mit dem Ende der französischen Kolonialmacht verschwand dieser Name. Doch der Mekong, der ist immer noch so groß und wild, und bis heute schwimmen Inseln aus Wasserhyazinthen den Fluss hinunter, der an manchen Stellen so breit ist wie ein See. 4300 Kilometer legt er auf seiner Reise zurück und durchquert dabei sechs Länder. Neun-Drachen-Fluss, wegen seiner neun Hauptarme, nennen die Vietnamesen den Mekong; damals wie heute ist er die Lebensader für Millionen Menschen.
Man trifft in Südvietnam noch nicht viele Reisende. Doch der Tourismus kommt – sehr sacht bislang. Von Cai Be aus kann man auf Dschunken den Mekong befahren und in der angenehmen Brise des Fahrtwindes dem Treiben an Land zusehen. Es ist tropisch heiß, die durchschnittliche Jahrestemperatur beträgt 27,2 Grad Celsius. Bei einer kleinen Manufaktur wird angelegt. Aus Kokosmilch und Zucker – sehr viel Zucker – werden hier Karamellbonbons hergestellt. Jedes einzelne von Hand, Tausende am Tag, Millionen im Monat. In einem Hinterzimmer widmet man sich der Reisschnapsherstellung; noch weiter hinten ploppt Puffreis in riesigen befeuerten Schalen.
„Im dunstigen Licht des Flusses, im Licht der Hitze haben sich die Ufer aufgelöst, der Fluss scheint in den Horizont überzugehen. Der Fluss strömt lautlos, ohne Geräusch, wie das Blut im Körper. Kein Wind über dem Wasser.“
Lunch wird irgendwo am Ufer zu sich genommen; einige Familien verdienen sich damit ein Zubrot. Auf ihrer Terrasse zum Fluss hin servieren sie hausgemachte vietnamesische Köstlichkeiten wie Schlangenkopffisch mit Thai-Basilikum, gebratene Frühlingsrollen, Rindfleischsuppe Pho Bo mit vielen frischen Kräutern, Banh Xeo – Pfannkuchen mit Shrimps und Sojasprossen – sowie Banh Mi, frisch belegtes Baguette, ein Relikt der Kolonialherrschaft. In kleinen Kähnen kann man sich auf versteckten Kanälen mitten hinein gleiten lassen in den Dschungel, begleitet vom ohrenbetäubenden Gesang der Zikaden. Wegen der schwülen Hitze ist ein geflochtener Kegelhut zu empfehlen; für die Einheimischen ist er weit mehr als nur eine Kopfbedeckung. Er schützt die Asiaten gegen Sonne gleichermaßen wie gegen Regen und wird auf dem Land sogar als Transportbehältnis und Maßeinheit benutzt.
Schwimmende Märkte
Am schönsten sind die „floating markets“, die schwimmenden Märkte, die es genau so auch schon vor Hunderten von Jahren gegeben hat. Denn der größte Teil des Verkehrs und des Warenumschlags erfolgt nach wie vor auf dem Wasser. In aller Herrgottsfrühe geht es von Can Tho aus per Boot nach Cai Rang. Auf einer langen Stange präsentieren die Händler ihre Waren: Knoblauch und Kräuter, Kohl und Tomaten, Fische und Brot. So eng liegen die Kähne aneinander, dass man trockenen Fußes von der einen Flussseite auf die andere hüpfen könnte.
„Es ist in Cholon. Gegenüber den Boulevards, die das Chinesenviertel mit dem Zentrum von Saigon verbinden, diesen großen Straßen im amerikanischen Stil, durchfurcht von Straßenbahnen, Rikschas, Bussen.“
Damals wie heute nimmt man am besten den Bus zwischen dem Mekong-Schwemmgebiet und Saigon, das zu Ehren des berühmten Revolutionärs in Ho-Chi-Minh-Stadt umgetauft worden ist. Gebräuchlich sind aber beide Bezeichnungen. „Ho-ChiMinh-Stadt wird verschwinden, Saigon bleibt“, prophezeit Thiet, der Reiseleiter, der früher in Rostock Maschinenbau studiert hat. Etwa zwei Stunden dauert die Fahrt – und die sind auch nötig, um sich von der Trägheit des Flusses auf die Vitalität der Millionenmetropole einzustellen. Zwar gibt es schon längst keine Rikschas und Straßenbahnen mehr, aber wie ein aufgeregter Insektenschwarm brummen und schwirren und zischen unzählige Motorroller durch die Stadt.
Viele Sehenswürdigkeiten sind fußläufig zu erreichen, wie zum Beispiel die Kathedrale Notre-Dame und gleich gegenüber das Hauptpostamt, ein beeindruckender Bau im französischen Stil, der zwischen 1886 und 1891 nach einem Entwurf von Gustave Eiffel errichtet worden ist. Seit genau 70 Jahren sitzt ganz hinten tagaus, tagein ein kleiner unscheinbarer Mann auf einer Holzbank. Er heißt Duong Van Ngo, ist von Beruf Übersetzer und Briefeschreiber im Dienst der Post, 87 Jahre alt. Englisch kann er und Französisch und auch ein bisschen Deutsch. Früher hat Herr Ngo für seine Kunden mit dem Füllfederhalter Liebesbriefe geschrieben, Telegramme übersetzt, nach amerikanischen Soldaten-Vätern gesucht oder nach geflüchteten Boat-People. Heute sind es eher Mails oder SMS- und WhatsApp-Nachrichten, die er übersetzt.
Traurige Geschichte
Saigon hat viele Anlaufstellen für Besucher. Zum Beispiel den quirligen Ben-Thanh-Markt oder die pinke Jade-Kaiser-Pagode und das ChalonViertel, das Chinatown der Stadt – auch wenn Herr Thiet sagt, es sei „zu laut und zu schmutzig“. Oder das bunte Backpackerviertel Pham Ngu Lao, wo bis in den frühen Morgen hinein der Bär steppt. Eines sollte jeder Tourist einplanen, schon allein aus Respekt einem Land gegenüber, das über Jahrhunderte immer wieder Besatzungen ertragen musste: den Besuch des sogenannten Kriegsrestemuseums. Das War Remnant Museum ist keine leichte Kost, so viel soll gesagt sein. Auf sehr bewegende Art und Weise werden mittels Fotografien, Schaukästen und Infotafeln die Grausamkeiten amerikanischer und französischer Streitkräfte während des Vietnamkriegs bis 1975 veranschaulicht. Nicht wenige Ausstellungsbesucher kämpfen mit den Tränen angesichts der damaligen Zustände in den Folterlagern und der Auswirkungen der Giftgaseinsätze auf die Bevölkerung. In Cu Chi, etwa eine Autostunde entfernt, können noch Teile des legendären unterirdischen Tunnelsystems besichtigt werden, in dem in Kriegszeiten Zehntausende Menschen Unterschlupf fanden.
„Die Dampfer fuhren den Fluß von Saigon hinauf, mit abgestellten Motoren, gezogen von Schleppern, fuhren bis zu jener Schleife des Mekong, die auf der Höhe von Saigon liegt. Während Jahrhunderten hatten die Schiffe dafür gesorgt, dass die Reisen langsamer, auch tragischer waren, als sie es heutzutage sind. Die Dauer der Reise deckte die Entfernung auf natürlich Weise ab.“
Im Jahr 2018 sind es neben den Containerschiffen vor allem die Kreuzfahrtschiffe, die in Saigon anlegen. Für alle Nicht-Kreuzfahrer gilt: Ab zum Flughafen. In einem Tag schon ist man wieder in Europa.