Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Pias „Enorme Rest Kraft“begeistert
Ausstellung im Landratsamt Biberach zeigt, wie Mädchen ihrer Muskelschwäche trotzt
BURGRIEDEN/BIBERACH - Eine außergewöhnliche Ausstellung startet am Montag, 18. Juni, im Biberacher Landratsamt: Pia Schmid aus Burgrieden zeigt im Flur des Kreissozialamts im dritten Stock eine Auswahl ihrer Kunstwerke. In unterschiedlichen Techniken gemalte und gezeichnete Bilder, die an sich schon eine erstaunliche Qualität haben. Das persönliche Schicksal der 17-Jährigen freilich macht die Arbeiten besonders bemerkenswert. Vielsagend ist der Titel der Ausstellung: „Enorme Rest Kraft“.
Es gehört zu ihren Lieblingswerken, das bunte, fröhlich-schräge Monster-Comic – das erste dieser Art, das Pia Schmid im November vergangenen Jahres mit alkoholbasierten Textmarkern gemalt hat. „Farben und Formen“, sagt sie, „drücken unheimlich viel Gefühl aus.“Welche Farbe für welche Emotion steht, hänge vom Motiv ab. „Rot zum Beispiel kann Liebe bedeuten, aber auch Angst oder Gefahr.“Pias Monster haben von allem etwas: Freude, Ärger, Humor, Trauer, Sorge, Gelassenheit. Stimmungen, die sie selbst ihr bislang recht kurzes Leben lang begleiten. Sich vielleicht täglich, stündlich, minütlich abwechseln. „Die Bilder müssen aber nicht immer nur mich beschreiben“, betont sie. „Es können auch Gefühle von Menschen sein, die ich sehe.“Die Figuren habe sie im Kopf. „Sie sind selbst erfunden“, sagt Pia Schmid. Roy Lichtenstein oder Andy Warhol, neigt man als Betrachter zu urteilen, hätten es nicht besser hinbekommen.
Vor allem nicht mit Spinaler Muskelatropie (SMA), Typ 2. Pia leidet seit ihrer Geburt an dieser Nervenkrankheit, die ihre Muskeln fortschreitend schwächt. Vorwärts kommt sie nur noch mit Hilfe eines Rollstuhls. Den Stift oder Pinsel zu halten, fällt ihr immer schwerer. Ihn selbst zu greifen, geht schon gar nicht mehr. Jemand muss ihr das Malwerkzeug reichen. Nach rund 30 Minuten – mal mehr, mal weniger – muss Pia eine kleine Pause machen. In der Schule reicht die Kraft fürs Schreiben eine Stunde lang. „Dann schreibt meine Betreuerin für mich weiter.“Dazu schmerzt die Hüfte beim Sitzen schon nach kurzer Zeit. „Für die Kunst muss ich mich aber setzen. Doch das ist es mir wert. Ich mache es gerne“, sagt sie.
Vom Leben und vom Tod
Ein weiteres Lieblingsbild, mit Wasserfarben gemalt, trägt den Titel „Adrenalin“: Eine skelettierte Hand, die nach einem plastisch dargestellten Herz greift. „Die Hand ist der Tod, das Herz das Leben“, erklärt Pia. Und warum der Titel? „Zum Leben braucht man Adrenalin“, sagt sie. Hat man davon zu viel oder zu wenig, kann es tödlich sein. „Ich hatte das Bild einen Monat lang im Kopf, ehe ich es gemalt habe.“
Leben und Tod. Natürlich hat Pia diese Themen im Kopf. Mehr als andere, gleichaltrige Mädchen, die nicht an einer die Lebenserwartung einschränkenden Krankheit leiden. Und doch: Pia strahlt Freude aus, wenn sie aus ihrem Leben erzählt. Von der Schule, in der sie Jahr für Jahr Preise für ihre Leistungen einheimst. Von ihrem großen Hobby, der Kunst. „Das Malen tut mir gut“, sagt sie. „Es gibt mir doppelt Kraft: für die Hand und für den Kopf.“Und wenn sie dann doch einmal von ihrer Krankheit und den Folgen berichtet, weil man sie darauf anspricht, von den Schmerzen und davon, dass sie nur mit Hilfe eines Beatmungsgerätes halbwegs ruhig schlafen kann – dann klingt das fast so harmlos, wie wenn ein gesunder Mensch über einen lästigen Schnupfen klagt.
Die Energie, ihr Leben voller Hürden zu meistern, gibt ihr neben der Malerei auch die Familie. Vater, Mutter und Bruder kümmern sich Tag und Nacht um Pia. Mutter Ruenglong schläft jede Nacht im Zimmer der Tochter, um sie alle zwei Stunden in eine andere Schlafposition zu legen. Der 14-jährige Sam sitzt manchmal stundenlang neben Pia, um ihr Stifte und Pinsel zu reichen. „Er macht alles für seine Schwester“, sagt Vater Karlheinz.
Pia, der wegen der fortschreitenden Krankheit auch das Sprechen immer schwerer fällt, beschreibt die Faszination ihres Hobbys so: „Kunst ist eine andere Art der Kommunikation. Kunst wirft Fragen auf oder gibt Antworten auf so manche Fragen. Nachdenkliche oder gar strahlende Gesichter, die meine Bilder betrachten, machen mich glücklich. Es freut mich, wie ich Leute mit dem, was ich schaffe, begeistern kann.“
Dazu zählt auch Tobias Langlois. Der Ergotherapeut am Weingartener Körperbehindertenzentrum Oberschwaben, wo Pia die Realschule besucht hat, kennt das Mädchen schon seit sechs Jahren. Auch jetzt, da sie die elfte Klasse des Technischen Gymnasiums in Biberach besucht, begleitet er sie weiterhin als Inklusionskraft. „Ich bewundere ihr Talent“, sagt er und zeigt auf dem Handy das Bild eines Straußenvogels, den Pia detailversessen bis aufs feinste Härchen gezeichnet hat – mit SMA, wohlgemerkt. „Ich sehe, dass sie sich künstlerisch stetig weiterentwickelt. Und weil ich es schade fände, wenn ihre Werke einfach in der Schublade landen würden, habe ich sie gefragt, ob sie nicht Lust hätte, ihre Bilder einem breiteren Publikum zu zeigen“, erzählt der 40-Jährige. „Sie selbst ist ein eher ruhiger Mensch und hätte sich nie getraut, so einen Wunsch zu äußern.“
„Die Bilder haben Kraft“
Langlois knüpfte Kontakte – und jetzt wird sie Wirklichkeit, die erste eigene Ausstellung von Pia Schmid. Dank der Bereitschaft des Landratsamts, die Räume im Flur des Sozialamts zur Verfügung zu stellen, und von Sponsoren, die bei der Finanzierung der nicht ganz billigen Fine-Art-Drucke und der Werbeflyer helfen. Langlois ist davon überzeugt, dass die Ausstellung mit rund 20 Werken ein Erfolg wird: „Die Bilder haben Kraft. Schon die Leute, die beim Aufhängen geholfen haben, waren begeistert.“
So wie vor sieben Jahren die Jurymitglieder bei einem bundesweiten Malwettbewerb des Bundesverbands Selbsthilfe Körperbehinderter. Zum Thema „Wohin ich gerne reisen möchte“malte die damals zehnjährige Pia einen Wasserfall in Thailand, der Heimat ihrer Mutter. Sie gewann den Wettbewerb. Das Bild zierte das Titelblatt eines dazu veröffentlichten Kalenders. Bislang hat es mit einer Reise nach Thailand nicht geklappt. „Sie darf wegen ihrer Krankheit nicht fliegen“, erklärt ihr Vater. „Vielleicht kann ich nach dem Abitur, in zwei Jahren, mit dem Schiff nach Thailand reisen“, hofft sie.
Vielversprechende Studie
Die Hoffnung, dass sie bis dahin auch noch die Kraft dazu hat, wird durch eine Studie des Rehabilitationsklinikums Ulm genährt. Mit einer Spritzenkur soll das Fortschreiten der Krankheit im Idealfall gestoppt, zumindest aber aufgehalten werden. „Die Erfolgsaussichten bei dieser Therapie liegen bei 51 Prozent“, sagt Pia. Allerdings ist noch nicht sicher, ob sie daran teilnehmen kann, denn es ist noch unklar, ob die Krankenkasse die Kosten übernimmt.
Pias Werke können vom 18. Juni bis Ende September im Landrats
amt Biberach ( 3. Stock, Flur des Kreissozialamts) angeschaut werden. Darüber hinaus zeigt ( und verkauft) Pia ihre Bilder beim
Kreativmarkt am 7. und 8. Juli im Riffelhof in Burgrieden. Kontakt: pianoischmid@ yahoo. de.