Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Auf zum letzten Gefecht
Die Hofesh Shechter Company aus England zeigt bei „Ulm moves!“ihr grandioses Stück „Grand Finale“
ULM - Wenn die Welt schon untergeht, dann bitte laut. Bei der Kartenkontrolle für das Gastspiel der englischen Hofesh Shechter Company beim Festival „Ulm moves!“bekommen die Besucher Ohrstöpsel. Der aus Israel stammenden Choreograf Shechter gilt als Schöpfer einer neuen Art von Tanztheater, die gleichzeitig auch (Rock)konzert und stummes Schauspiel ist. Das Ergebnis ist so originell wie grandios: Die neueste, ziemlich apokalyptische Produktion „Grand Finale“wird von den Zuschauern im praktisch ausverkauften Großen Haus des Theaters Ulm euphorisch gefeiert. Wobei manche sogar Tränen in den Augen haben.
Die 2008 gegründete Truppe ist vom klassischen Ballett so weit entfernt wie das Moskauer BolschoiTheater vom Berliner BerghainClub. „Grand Finale“, uraufgeführt 2017, erzählt von einer Welt, die auf den Abgrund zustürzt, von Krieg und Leid, aber auch von Hedonismus, Dekadenz und Realitätsflucht. Neben den zehn Tänzern der Company gehören auch sechs Musiker zum Bühnenpersonal. Am Anfang sphärische Klänge, schwarze Monolithen, kaum Licht. Die Tänzer tauchen immer wieder an anderen Stellen unvermittelt aus der Dunkelheit auf, die Musiker ebenso. Dunkle Räume öffnen und schließen Räume. Von Beginn an verliert das Auge die Orientierung.
Dann bricht der Wahnsinn erst richtig los. Die vom inzwischen 43jährigen Shechter selbst entwickelte (und gar nicht sooo laute) Musik wird zu einem wilden Trommeln, die unglaublich präzisen und ausdrucksstarken Tänzer finden sich zu immer neuen Formationen, die dann in (zumindest scheinbar) freie Bewegungen zerfallen. Archaische Stammestänze, Technoparty, sogar ein kurzer Riverdance. Bilder aus dem popkulturellen Gedächtnis blitzen auf.
Immer wieder fallen die allesamt in Hemd und Hose gekleideten Tänzer und Tänzerinnen wie eine Zombiehorde aus einem Videospiel in das Geschehen. Dann brechen sie zusammen, werden leblos von der Bühne gezogen – und kehren dann doch zurück. Die Menschheit erlebt ihr letztes Gefecht. Und ist dabei gleichzeitig brutaler Täter und hilfloses Opfer.
„Grand Finale“ist voller Leben und Tod. Revue und Ritual, Rave und Realismus. Doch die Choreografie ist aber auch Satire. Später weicht die dunkle Musik dem berühmten – und auch schon Alfred Hitchcock zweckentfremdeten – Walzer aus „Die lustige Witwe“, und vom Himmel regnet es Seifenblasen. Doch die Tanzpartner landen als Leichen auf einem Haufen. Pause. Aus der holen die Musiker die Besucher zurück, jetzt als Salonorchester am Bühnenrand, mit großen Gesten und viel Lalala. Daneben liegt eine Leiche. Den Zuschauer fröstelt es.
Hier könnte „Grand Finale“auf die Straße zum Zynismus abbiegen. Doch stattdessen wird aus dem Tanz über das Leben ein Tanz ums Leben. Die Menschheit scheint nach einer letzten Partynacht erschöpft ihre Endlichkeit zu akzeptieren. In kurzen Blitzlichtern tauchen aus dem Dunkel auf: Liebe, Freundschaft, Glaube. Dann steht das letzte Tor offen – und der Vorhang schließt sich. Ein kurzes Innehalten, dann Standing Ovations. Großartig, dass das Festival „Ulm moves!“internationales Tanztheater dieser Güteklasse nach Ulm bringt.