Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Die Stille nach dem Knall
Ex-Kapitän Ballack schlägt nach Fehlstart Alarm: „Da stimmt was nicht in der Mannschaft“
MOSKAU - Es hätte so schön werden können. Den Tag nach dem Auftaktspiel gegen Mexiko stellte man sich beim DFB ursprünglich so vor: auslaufen, ein bisschen Reha, dann entspannen, über den erfolgreichen Start in die WM quatschen, mit den Freunden und Familien in Moskau nett essen gehen.
Die Angehörigen kamen trotz der 0:1-Pleite gegen Mexiko ins WMQuartier nach Watutinki. Dort herrschte jedoch schlechte Laune, die Aufarbeitung des erschreckend schwachen Auftritts dürfte allen Beteiligten die Laune verhagelt haben. Der DFB schottete sich ab, das (Auslauf-) Training fand hinter verschlossenen Toren und blickdichten Planen statt. Eine Pressekonferenz mit Philipp Lahm, dem Weltmeister-Kapitän von 2014, wurde noch am Abend zuvor abgesagt. Lahm sprach dafür in einer Schule der deutschen Botschaft in Moskau. „Ein kleiner Rückschlag schadet nicht, um noch ein bisschen enger zusammenzurücken“, sagte der 34-Jährige dort den Schülern.
Kroos aus dem Spiel genommen, Khedira gibt keine Stabilität
Das wäre dringend nötig. Unmittelbar nach dem 0:1 trat etwas hervor, was sich in den letzten Wochen irgendwie angekündigt hatte: In der Mannschaft gibt es, um es vorsichtig auszudrücken, ein gewisses Reibungspotenzial, es droht ein Machtkampf innerhalb des Teams. Oder vielmehr ein Richtungsstreit: ein Konflikt zwischen Defensive und Offensive. Losgetreten von Mats Hummels, selbst einer der schwächsten gegen Mexiko: „Ich verstehe nicht ganz, warum wir das so gespielt haben. Wir haben es ihnen zu leicht gemacht. Das hätten wir nicht zulassen dürfen“, hatte der Bayer gesagt. Und: „Wenn sieben, acht Spieler offensiv spielen, dann ist die offensive Wucht größer als die defensive Stabilität. Ich spreche das intern oft an, aber es fruchtet anscheinend nicht. Unsere Absicherung steht nicht gut, es sind oft nur Jérôme und ich hinten.“
Boateng und Hummels – zwei gegen den Rest der Welt, in dem Fall gegen die konterstarken Mexikaner. So sah es tatsächlich oft aus. Boateng ergänzte: „Wir hatten diese Sachen ganz klar angesprochen und kriegen es trotzdem nicht hin – das ist nicht unser Anspruch. Darüber müssen wir reden. Wir hatten viel zu viele Ballverluste und haben kaum Torchancen rausgespielt.“Noch eine verbale Ohrfeige gegen die Offensivabteilung. Droht nun ein Bruch im Team? Erste Risse sind zu spüren.
Bei Ballverlusten in der Vorwärtsbewegung fehlte eine Absicherung im Zentrum, Sami Khedira gelang es nicht, dem Spiel Statik zu verleihen; Toni Kroos wurde von den Mexikanern beinahe komplett aus der Partie genommen – und war beim 0:1 zusammen mit dem offensiven Mesut Özil plötzlich der letzte Feldspieler, der das Tor hätte verhindern können.
Kimmich zu offensiv
Dazu kam der taktische Fehler, dass vor allem der Bösinger Außenverteidiger Joshua Kimmich zu hoch und zu weit in der Mitte agierte. Bundestrainer Joachim Löw hat sich mit der Taktik und der Aufstellung (Marco Reus auf der Bank) verzockt. Man habe Mexiko anders erwartet, betonten einige Spieler. Ein Versäumnis des Trainerstabes?
Ex-Kapitän Michael Ballack vermutet: „Da stimmt etwas nicht in der Mannschaft.“Er fordert: „Es ist absolut richtig, dass Hummels das so klar anspricht. Manche Dinge kann der Trainer nicht regeln, das muss die Mannschaft selbst tun.“
Lahm hofft, dass der K.o. gegen Mexiko zum Weckruf wird: „Manchmal sind solche Rückschläge von Vorteil, um noch enger zusammenzurücken. Außerdem kann man jetzt darauf reagieren“, sagte er. Der Schlüssel für den Titel 2014 in Brasilien sei der „sehr gute Teamgeist“gewesen, der „sich im Turnier entwickelt hat. Viele Spieler von heute waren auch damals dabei. Die wissen, wie wichtig der Teamgedanke ist.“
Und zwei Siege. Das 1:0 der Schweden gegen Südkorea vom Montag macht die Ausgangslage für das DFB-Team nicht einfacher. Eine Niederlage gegen Schweden am Samstag – und schon könnte alles vorbei sein. „Wir sind jetzt ohne Frage unter Druck“, sagte Kroos. Schweden wird das erste wahre K.o.-Spiel.