Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
So schön traurig kann der Sommeranfang sein
Gisbert zu Knyphausen begeistert mit nachdenklichen Tönen 600 Zuhörer im Ulmer Zelt
ULM - Adel verpflichtet. Der deutsche Liedermacher Gisbert zu Knyphausen ist zwar ein Meister der Melancholie, jedoch weit weg davon, ein Fürst der Finsternis zu sein. Zu warm, zu menschlich sind seine Texte. Ein echter Adeliger ist er dennoch. Am Donnerstag ließ er rund 600 Zuhörer im Ulmer Zelt wehmütig in den Sommer hinübergleiten. Ein teils magischer Abend.
Gisbert zu Knyphausen sieht nicht aus wie der Spross eines Geschlechts, das dem deutschen Uradel zugerechnet wird. Dafür verwuschelt wie Thomas Hayo, der gemeinsam mit Heidi Klum die Models von morgen macht.
Eine gewisse Portion Entrücktheit von dieser Welt umweht den 39Jährigen dennoch, vor allem wenn er alleine mit seiner verstärkten Akustikgitarre, ohne die Begleitung seiner exzellenten Band, seine Gedanken ins Mikro säuselt.
Schwangere im Publikum
Zwar ist das Ulmer Zelt an diesem Donnerstagabend – dem die kürzeste Nacht des Jahres folgen sollte – nur zur zwei Dritteln gefüllt. Den Freiraum nutzen viele der rund 600 Zuhörer aber gerne, schmiegen sich an ihre Partner, und auch die mehreren schwangeren Frauen im Publikum dürften froh darüber gewesen sein, sich nicht in Acht nehmen zu müssen vor unberechenbaren Ellenbogen ihrer Nebenleute.
Das von der „Schwäbischen Zeitung“präsentierte Konzert beginnt ruhig, der Titel „Hellblauer Himmel“passt gut zum (noch) blauen Himmel über der Friedrichsau. Doch von Norden her schieben sich dunkle Wolken immer näher. Sollte es – passend zum Sommeranfang – tatsächlich noch regnen? Kühle Temperaturen waren ja angesagt.
Herbststimmung zumindest schon drinnen im Zelt. Gisbert zu Knyphausen singt vom Übergang, vom Wechsel der Jahreszeiten, ein wetterfühliger Barde. Der in erster Linie aber seinen eigenen Gefühlen auf den Grund geht. „Das bisschen Herzschmerz tut gar nicht so weh“, singt er in „Sommertag“trotzig. Es ist auch die Ambivalenz, die seine Musik so anziehend macht. Unterm Strich jedoch will er Mut machen. Dass alles gut ist, so wie es ist. Und auch Rock’n’Roll.
Haltung bewahren!
Zu Knyphausen und Band lassen Lichter zucken, dass einem fast übel wird. Dreschen ein auf ihre Instrumente, aber verlieren nie die Kontenance. Haltung bewahren! Auch, als er zwei, drei Mal den Text vergisst: Er lässt es sich nicht anmerken. Macht seelenruhig weiter. In einer sympathischen Mischung aus Lockerheit und Ernsthaftigkeit.
Neben Gitarre, Bass, Schlagzeug, Klavier und Posaune kommen auch ein Glockenspiel zum Einsatz und eine Melodica und noch andere Dinge, die klingen. Die Bandbreite hier scheint genauso weit wie das Themenspektrum in seinem Songkosmos.
Trennung, Schmerz, Tod – und Geburt. Alles ein natürlicher Kreislauf. Gänsehaut bei „Das Licht dieser Welt“, in dem er einem frisch geborenen Säugling Mut zusingt. Denn: „Ist die Nabelschnur erst Mal ab, steh’n wir alle auf dem Schlauch.“Aber: „Das Chaos hier ist unendlich – nur: die Liebe ist es auch.“Auch schön: „Die Liebe, die du gibst, ist die Liebe, die du kriegst.“Auch wenn er diese Zeile bei den Beatles geborgt zu haben scheint. In „The End“sangen diese: „The love you take, is equal to the love you make.“
Auch Gisbert zu Knyphausen bekommt, was er verdient. Aber auch das Publikum. Zweimal verlässt er nach 17 Songs die Bühne, zweimal fordert das gut gelaunte Publikum durch seinen nachhaltigen Applaus eine Zugabe und bekommt diese. Nach dem dritten Abgang lässt er sich nicht mehr bitten. Nimmt sein Wasser, entschwindet. Aber nicht ohne den Wunsch geäußert zu haben: „Auf bald!“Gisbert knipst das Licht aus. Traurig. Immerhin: Jetzt fängt er offiziell an, der Sommer. Und es hat nicht einmal geregnet.