Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Aus Laichingen nach Oxford
Nachwuchsforscherin referiert bei Nobelpreisträgertagung über ihre Doktorarbeit
LAICHINGEN - Wann ist der Mensch so erschöpft, dass er selbst für Geld nicht mehr weiterarbeiten möchte? Wie viel Anstrengung hält der menschliche Körper überhaupt aus? Und was verursacht überhaupt diese Müdigkeit? Unter anderem mit diesen Fragen setzt sich Tanja Müller derzeit in ihrer Doktorarbeit auseinander, die sie an der Eliteuniversität im südenglischen Oxford verfasst.
Am vergangenen Wochenende hat die 28-jährige Laichingerin Teile ihrer Promotionsarbeit auf einer für sie „besonderen“und „einmaligen“Veranstaltung vorgetragen: bei der Nobelpreisträgertagung in Lindau, wo – wie der Name schon sagt – 39 Nobelpreisträger aus den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Gattungen, hauptsächlich jedoch aus dem Bereich Medizin/Physiologie, anwesend waren.
Einmalig deshalb, weil die Laichingerin vermutlich so schnell nicht mehr an einer solchen Veranstaltung teilnehmen kann – außer sie wird explizit eingeladen oder erhält irgendwann einen Nobelpreis für ihre Forschungen in der Psychologie. Das ist zwar nicht komplett unwahrscheinlich, aber ist das überhaupt ein Ziel für die Nachwuchsforscherin? „Ich weiß nicht, ob man sich das zum Ziel setzen sollte“, sagt sie nach einer kurzen Pause, in der sie sich ihre Worte wohl überlegt hat: „Mein Ziel ist es, gute Forschung zu betreiben.“
Und offenbar tut sie das auch. Sonst hätte sie nicht das mehrstufige Bewerbungsverfahren für die Nobelpreisträgertagung überstanden: Aus mehreren tausend Bewerbungen aus aller Welt bekamen 600 junge Wissenschaftler die Zusage für eine Teilnahme, darunter ein Dutzend, die dem Elitenetzwerk Bayern angehören, so wie Tanja Müller.
Der Drang nach dem Stillen der wissenschaftlichen Neugier hat bei ihr schon früh, bereits in Laichingen begonnen. „Ich hatte tatsächlich schon als Kind so ein Buch mit einer Lupe“, erzählt sie und lacht dabei. „Ich war schon früh an der Natur interessiert und wollte wissen, wie Menschen und Dinge funktionieren.“
Nach ihrem Abitur am Laichinger Albert-Schweitzer-Gymnasium ging es für sie mit einem Psychologiestudium an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg weiter. Das Thema ihrer Bachelorarbeit: Effekte von Studiengangzugehörigkeit und Kontext auf die räumliche Referenzierung. Klingt nicht nur komplex, es ist es auch: Was es damit auf sich hat, erklärt sie mit einem Stift und einem Smartphone. Beide liegen auf dem Esstisch. Doch liegt der Stift jetzt davor oder daneben? Und wie erkläre ich das meinem Gegenüber, der ja alles seitenverkehrt sieht? Sein Links ist ihr Rechts, ihr Links ist sein Rechts – und umgekehrt. Was geschieht dabei in unserem Kopf? Und unterscheidet sich dieses Geschehen im Kopf bei verschiedenen Berufsgruppen? Zum Beispiel in der Medizin. Wenn ein Arzt einem Patienten erklären will, dass er seinen rechten Arm heben soll – oder war es doch der linke?
Daheim: Schwäbisch!
Eine hoch komplexe Angelegenheit, bei der bereits die simpelste Erklärung nicht ganz einfach ist. Wortklauberei. Jedes Wort muss stimmen und wohl überlegt sein. Das ist auch für sie manchmal sehr kompliziert. Aber vermutlich nicht nur wegen des Sachverhalts, sondern wohl auch deshalb, weil die 28-Jährige spätestens seit dem Abschluss ihres Bachelors viel Zeit im englischsprachigen Ausland verbracht hat: an der Uni in Stanford (Kalifornien) und in Oxford (England). Natürlich auch zum Forschen. „Aber wenn ich daheim bin, dann spreche ich wieder Schwäbisch wie früher“, sagt sie.
Doch bei all ihren Arbeiten und Forschungen hat Tanja Müller immer ein übergeordnetes Ziel vor Augen: „Zu verstehen, wie Menschen denken“, sagt sie. Aber auch: „Wie löst man bestimmte Dinge oder Probleme?“Denn das – und das ist ihr wichtig – gehe immer nur auf Grundlage von Fakten. Gerade in der heutigen Zeit, „wo viele Meinungen kursieren, die nicht viel auf Wissenschaftlichem basieren.“Sie will „kritisch hinterfragen“und „viel diskutieren“. So, wie es auch auf der Nobelpreisträgertagung der Fall war.
Als eine von wenigen Teilnehmern hat sie dort mehrere Vorträge über ihre Doktorarbeit gehalten. Mal zwei, mal sechs Minuten – und auch mal eine ganze Stunde lang. Vor wenigen Zuhörern, aber auch vor einer vollen Inselhalle. Und zu einem Fernsehinterview kam sie dann auch noch: Karsten Schwanke, Meteorologe und Moderator bei der ARD, hatte sie für eine Folge seiner Doku-Reihe angefragt. Auch das war für sie etwas „Besonderes“: „Die Tagung war auf jeden Fall das Highlight in meiner bisherigen Forschungslaufbahn“, so die Laichingerin. Mal sehen, wohin diese Laufbahn führt. Vielleicht irgendwann wieder nach Lindau zur Nobelpreisträgertagung. Oder gar nach Stockholm?