Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Algerischer Familie droht Abschiebung
Die Abdellahs wohnen seit sieben Jahren in Ehingen – Viele Ehinger kämpfen für die Familie
EHINGEN (sz) - Familie Abdellah, die seit sieben Jahren in Ehingen wohnt, soll im August abgeschoben werden. Zwei der drei Kinder sind in Deutschland geboren, der elfjährige Sohn Ilies geht auf das Gymnasium und ist Kapitän der E-Jugend.
EHINGEN - Die Familie Abdellah, die seit sieben Jahren in Ehingen wohnt, soll im August abgeschoben werden. Zwei der drei Kinder sind in Deutschland geboren, der elfjährige Sohn Ilies geht auf das Johann-Vanotti-Gymnasium und ist Kapitän der EJugend der TSG Ehingen. Die Mutter hilft als Dolmetscherin und der Vater könnte eine Lehre zum Bäcker machen. Doch die Abschiebung ist laut dem zuständigen Regierungspräsidium in Karlsruhe „unausweichlich“.
Souad Abdellah-Harir wischt sich die Tränen aus den Augen. Ihre Freundin, die Ehingerin Michaela Schlotter, hält fest ihre Hand. Souad Abdellah-Harir holt tief Luft und sagt in nahezu perfektem Deutsch: „Meine Tochter soll nach den Ferien in die Längenfeldschule eingeschult werden. Sie hat schon ihre Schultüte und fragt mich jeden Tag, wann sie endlich in ihre Klasse gehen darf.“Eine weitere Träne kullert über ihre Wange, während die drei Kinder der Familie vor dem Sportheim der TSG miteinander spielen. Denn der elfjährige Sohn, Ilies, ist nicht nur ein guter Schüler auf dem Johann-Vanotti-Gymnasium, sondern auch ein guter Kicker und Kapitän der E-Jugend der TSG Ehingen.
Seit nunmehr sieben Jahren lebt die Familie in Ehingen, zuerst in der Unterkunft in der Berkacher Straße, dann, seit 2014, in einer eigenen Wohnung. Im Jahr 2011 musste die Familie mit ihrem damals dreijährigen Sohn Ilies aus Algerien flüchten. „Wir haben alles verkauft, was wir hatten. Mit dem Geld, 6000 Euro, haben wir unsere Schlepper bezahlt, die uns über die Türkei nach Deutschland gebracht haben. Von der Türkei aus waren wir mehrere Wochen in einem Lastwagen unterwegs“, sagt Souad Abdellah-Harir mit zitternder Stimme. Was die Familie in den Wochen der Flucht durchmachen musste, darüber kann Souad Abdellah-Harir nicht mehr reden, nur so viel bringt sie über ihre Lippen: „Es waren schreckliche Wochen, vor allem mit einem dreijährigen Kind. Es gibt keine Worte, die das beschreiben können.“Auch den Grund, warum die Familie aus Algerien flüchten musste, möchte Souad Abdellah-Harir nicht sagen, betont aber, dass ihr Mann Larbi keine anderen Möglichkeit als die Flucht hatte. „Und als alleinstehende Frau ist man in Algerien nichts wert“, sagt Souad Abdellah-Harir.
Wochen der Flucht
Nach Wochen auf der Flucht ist die Familie dann eines Abends in Frankfurt am Main angekommen, völlig erschöpft und mit einem kranken Kind. „Wir sind dann eine Nacht in Frankfurt geblieben, um dann nach Karls- ruhe zu gehen, um uns registrieren zu lassen“, sagt Souad Abdellah-Harir, die fünf Sprachen fließend spricht und Deutsch „auf der Straße hier“gelernt hat.
Über Karlsruhe wurde die Familie dann dem Alb-Donau-Kreis zugewiesen, der einen Platz in der Unterkunft in Ehingen bereitgestellt hat. In Ehingen angekommen, hat sich die Familie sofort um Integration bemüht. „Souad Abdellah-Harir war die vergangenen Jahre unermüdlich ehrenamtlich tätig als Dolmetscherin für die Stadt Ehingen, das Landratsamt des Alb-Donau-Kreises, die Polizei und die IHK. Sie ist engagierte Elternmentorin und gibt im Freundeskreis Nachhilfe für Migrantenkinder“, erklärt Rainer Lingg vom Ehinger Freundeskreis für Migranten, der versucht, die Abschiebung zu verhindern.
Arbeit als Bäcker
Souad Abdellah-Harirs Mann Larbi hat bis Juli 2017 bei einer Bäckerei gearbeitet, anlässlich eines Wechsels der Arbeitsstelle wurde ihm die Arbeitserlaubnis nicht erneuert. „Mein Mann könnte nun eine Ausbildung zum Bäcker machen. Ein Arbeitsvertrag liegt unterschrieben vor, ohne Arbeitserlaubnis geht es aber nicht“, erklärt Souad Abdellah-Harir und sagt: „Wir würden gerne Geld verdienen, für uns selbst sorgen – aber wir dürfen es nicht.“
Im Januar dieses Jahres musste die Familie nach Karlsruhe, um sich dort vorzustellen. Der anwesende Beauftragte des algerischen Konsulats habe ihnen jedoch dort erklärt, dass sie Pässe erst nach einer Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung erhalten könnten. „Es war schrecklich. Die Kinder haben den ganzen Tag geweint“, erzählt Souad Abdellah-Harir und wird dabei immer lau- ter. Ihre Trauer schlägt im Laufe des Gesprächs in Wut, Unverständnis und dann Resignation um. Besonders dann, wenn sie von einer Nacht im Juni dieses Jahres berichtet. „Wir waren in Neu-Ulm bei Freunden zum Fastenbrechen während des Ramadans. Wir haben dort übernachtet. Als wir am nächsten Tag nach Ehingen kamen, berichteten uns unsere Nachbarn, dass die Polizei uns nachts um 4 Uhr abholen wollte“, so Souad Abdellah-Harir, die dann wieder zu zittern beginnt.
Psychische Probleme
„Seit diesem Tag hat Souad AbdellahHarir psychische Probleme. Sie lebt in Angst und Schrecken“, sagt Heidi Porsche vom Freundeskreis Migranten, die sich von Anfang an um die Integration der Familie in Ehingen gekümmert hat. „Die Familie lebt seit sieben Jahren hier. Sie ist integriert, möchte hier arbeiten, sich selbst versorgen – warum sie nun abgeschoben werden, kann ich nicht verstehen“, sagt Heidi Porsche. In der Zeit von 2011 bis heute sind die Kinder Iman (sechs Jahre) und Ines (drei Jahre) hier geboren. Mittlerweile haben Eltern der Klassenkameraden von Ilies sowie die Jugendtrainer der TSG Ehingen eine Petition gestartet, um die Abschiebung der Familie zu verhindern – erfolglos.
RP erklärt Sachlage
„Seit dem Jahr 2013 ist die Familie vollziehbar ausreisepflichtig. Das Asyl ist abgelehnt. Im Februar dieses Jahres hat auch die Härtefallkommission endgültig entschieden, dass die Familie abgeschoben werden muss. Die nötigen Papiere der Abdellahs sind da“, erklärt eine Sprecherin des zuständigen Regierungspräsidiums in Karlsruhe und betont: „Alle rechtlichen Möglichkeiten, die eine Ab- schiebung verhindern könnten, sind bei dieser Familie ausgenutzt. Es gibt keine Ausreisehindernisse mehr und auch keine Aufenthaltsgenehmigung. Auch Arbeit schützt hier vor Abschiebung nicht“, macht die Sprecherin deutlich. Warum es nun sieben Jahre gedauert hat, bis die endgültige Abschiebung mit einem Brief an die Familie vollzogen wird, erklärt die Sprecherin so: „Die Familie hat den Asylvorgang nun einmal durchlaufen und dieser wurde am Ende negativ beschieden. Nicht von uns, sonder vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Dass es so lange gedauert hat, lag auch an der Geburt der Kinder. Wird ein Kind geboren, ist das ein vorläufiger Hinderungsgrund zur Ausreise. Nun ist alles geprüft, ein Schutzstatus ist nicht vorhanden, die Familie muss gehen.“
Den Abschiebungsprozess aufzuhalten, sei laut der Sprecherin „nicht mehr möglich. Die Familie kann natürlich freiwillig ausreisen, um einer Abschiebung zu entgehen“, so die Sprecherin.
Kommt nichts mehr dazwischen, soll die Familie Abdellah laut Schreiben zwischen dem 21. und 25. August dieses Jahres abgeschoben werden. Dafür muss sich die Familie an den genannten Tagen zwischen 0 und 4 Uhr bereithalten. „Das machen wir nicht, weil wir grausam sind. Das machen wir, damit die Menschen früh in ihrem Herkunftsland landen, um dort mit den Behörden in Kontakt treten zu können.“
Dass die Familie sich aber in den sieben Jahren integriert hat, die Kinder nicht die Amtssprache Hocharabisch sprechen, geschweige denn schreiben können, spiele bei einer Abschiebung keine Rolle. „Alles wurde vom Bundesamt geprüft. Die Familie muss ausreisen“, betont die Sprecherin.