Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Schlepper empfehlen den Weg über Spanien
Während weniger Migranten aus Afrika Italien erreichen, registriert Frontex auf der iberischen Halbinsel deutlich mehr Neuankömmlinge
BERLIN/MADRID (dpa) - Der Chef der europäischen Grenzschutzagentur Frontex, Fabrice Leggeri, hat vor einer Verschiebung der Migrationsrouten nach Europa gewarnt. Statt von Libyen nach Italien überzusetzen versuchten immer mehr Menschen, von Marokko über das westliche Mittelmeer nach Spanien zu gelangen, sagte der 50-jährige Franzose der „Welt am Sonntag“. „Wenn Sie mich fragen, was meine größte Sorge derzeit ist: Dann sage ich Spanien.“
Allein im Juni zählte Frontex rund 6000 irreguläre Grenzübertritte aus Afrika nach Spanien, wie Leggeri sagte. Etwa die Hälfte der Personen seien Marokkaner, die anderen stammten aus Westafrika. „Wenn die Zahlen dort so steigen wie zuletzt, wird sich dieser Weg zum wichtigsten entwickeln.“Nach Frontex-Angaben schlagen Schlepper im Transitland Niger vielen Migranten seit kurzem vor, die Route über Marokko statt über Libyen zu nehmen.
Bislang waren die meisten Migranten, die übers Mittelmeer kamen, in Italien angelandet. Spanien rangierte hinter Griechenland auf Platz drei. Die neuesten Zahlen der Internationalen Organisation für Migration zeigen, dass eine Trendwende eingesetzt hat: Waren im ersten Halbjahr 2017 noch rund 85 000 Migranten in Italien und nur 6500 in Spanien angekommen, so waren es im gleichen Zeitraum 2018 in Italien nur noch 16 700 – und in Spanien bereits 15 600. Die Gesamtzahl der Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa kamen, lag der Statistik zufolge aber im ersten Halbjahr nur noch bei knapp 46 500. Sie hat sich somit mehr als halbiert.
Erst am Samstag bargen Seenotretter zwischen der Iberischen Halbinsel und Nordafrika 150 Menschen auf fünf Booten, wie die Nachrichtenagentur „Europa Press“meldete. Die Menschen aus afrikanischen Staaten südlich der Sahara seien in die spanische Region Andalusien gebracht worden.
Italiens neue Regierung fährt seit Wochen einen harten Kurs in der Flüchtlingspolitik. Zuletzt hat Innenminister Matteo Salvini von der rechten Lega mehreren Rettungsschiffen die Einfahrt in einen Hafen verwehrt. Am Sonntag setzte Salvini nach und kündigte an, er wolle künftig nicht nur NGO-Schiffe stoppen, sondern auch ausländische Schiffe, die an „internationalen Missionen“beteiligt seien. Dies werde er am Donnerstag beim Treffen der EU-Innenminister in Innsbruck ansprechen.
Häfen für Retter geöffnet
Spanien hatte als Reaktion auf die Weigerung Italiens bereits der „Aquarius“von Ärzte ohne Grenzen und SOS Mediterranee sowie der „Open Arms“der spanischen Organisation Proactiva Open Arms erlaubt, spanische Häfen anzulaufen. Die „Lifeline“der deutschen Organisation Mission Lifeline durfte nach langem Ausharren nach Malta. Gegen den Kapitän Claus-Peter Reisch wird ermittelt. Zuletzt war auch ein Flugzeug deutscher Seenotretter auf Malta festgesetzt worden.
Frontex-Chef Leggeri plädierte dafür, die vom EU-Gipfel gebilligten neuen Pläne für zentrale Sammellager in Afrika voranzutreiben, damit kein Migrant mehr davon ausgehen könne, dass er nach seiner Rettung nach Europa gebracht werde. „Wenn es diesen Automatismus nicht mehr gibt, können wir das kriminelle Geschäftsmodell erfolgreich bekämpfen“, so Leggeri. „Wir müssen Menschen in Seenot retten, das wird immer so sein. Aber ich finde es ganz interessant, dass der EU-Rat klargemacht hat, dass die Ausschiffung auch in nicht-europäischen Staaten stattfinden könnte.“
Die Europäische Union hatte sich bei ihrem Gipfeltreffen vergangene Woche unter dem Eindruck der deutschen Regierungskrise auf eine Verschärfung ihrer Asylpolitik geeinigt. Frontex soll bis 2020 verstärkt werden, um die EU-Außengrenzen stärker abzuriegeln. Gerettete Bootsflüchtlinge können künftig in zentralen Sammellagern in der EU untergebracht werden. Ähnliche Lager in Nordafrika werden geprüft.