Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Carmens furioses Comeback
Bei den Bregenzer Festspielen feiert die Bizet-Oper eine umjubelte Premiere
BREGENZ - Was für ein Abend! Die 7000 Besucher der Seebühne erlebten eine Festspielpremiere wie aus dem Bilderbuch und feierten die Wiederaufnahme der Bizet-Oper „Carmen“mit viel Applaus und vereinzelten Bravo-Rufen.
Die Inszenierung von Kasper Holten erscheint im zweiten Jahr noch spannungsvoller und dynamischer, runder. Star des Abends ist wieder Gaëlle Arquez in der Titelrolle. Die französische Mezzosopranistin sieht nicht nur fantastisch aus, sondern singt auch so. Sie verkörpert eine selbstbewusste Frau, die sich nimmt, was sie will, und sich mit Leidenschaft gegen Konventionen stellt. Eine Ideal-Carmen. Don José (Daniel Johansson) hat keine Chance, wenn sein Nebenbuhler, der supervirile Escamillo (Kostas Smoriginas), sein „Toréador en garde“anstimmt. Allein den herzinnigen Bitten Micaëlas (wunderbar: Cristina Pasaroiu) kann er sich dann noch nicht ganz entziehen.
„Carmen“kommt einem wie eine Folge von „Sie wünschen, wir spielen“vor, ein Ohrwurm jagt den nächsten, von der Habanera der Carmen bis zu Josés verzweifelter Erkenntnis „Du liebst mich nicht mehr“. Und dazwischen immer wieder dieses düstere Todesmotiv mit den Celli.
Antonino Fogliani am Pult der Wiener Symphoniker betont die Effekte von Bizets Komposition, bevorzugt ein zügiges Tempo. Auch das eine Herausforderung für die Bühne. Präzise auf die Musik abgestimmt und wie von Zauberhand gelenkt verändern sich die Bilder – von der Zigarettenfabrik zur Räuberhöhle von Lillas Pastia bis hin zur Stierkampfszene, bei der Tänzerinnen und Tänzer zum immer rasenderen Rhythmus der Musik ihre roten Roben ins Wasser klatschen. Klar, ein Feuerwerk darf nicht fehlen, und auch der See spielt wieder eine Rolle: Carmen kann einmal ihren Verfolgern mit einem beherzten Sprung ins Wasser entfliehen. Und auch den Tod findet sie dort: José ertränkt die Geliebte im See.
Es ist ein großes, buntes Spektakel. Puristen mögen die Nase rümpfen: zu viel Show, zu wenig Ernst und tiefere Bedeutung. Sollen sie. Für die Kenner gibt es die Raritäten im Festspielhaus und die Orchesterkonzerte mit ausgefeilten Konzertprogrammen, wie man sie im klassischen Betrieb nicht immer findet.
Mit den Seebühnenproduktionen zielen die Bregenzer Festspiele auf ein anderes Publikum. Das, worum sich viele, auch noble Häuser inzwischen bemühen, haben die Bregenzer in ihrer über 70-jährigen Geschichte längst umgesetzt: Sie machen Oper für alle. Und sie machen das hoch professionell. Die Bühnenbilder haben Operngeschichte geschrieben – der überdimensionale Totenkopf bei „Maskenball“, das Auge von „Tosca“oder eben jetzt die in den Himmel ragenden Hände mit den Spielkarten von Es Devlin.
Natürlich schwingt bei all dem Aufwand, der hier getrieben wird, immer die Hoffnung mit, dass sich durch diese opulente Präsentation vielleicht auch neue Fans fürs traditionelle Musiktheater gewinnen lassen. Ob es gelingt? Es ist zumindest ein Ansatz gegen Populisten aller Couleurs, die Hochkultur als Schimpfwort benutzen und Oper als Luxusgut für Eliten diffamieren. Diese „Carmen“übrigens werden in den zwei Jahren über 400 000 Menschen gesehen haben.