Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Lesen hilft
„Deine Juliet“ist eine gelungene Verfilmung von Mary Ann Shaffers Roman über das besetzte Guernsey
ST. PETER PORT - Einen Bestseller zu verfilmen ist immer eine Herausforderung. Millionen Leser, im Fall von „Deine Juliet“weltweit, haben sich ein Bild gemacht von den außergewöhnlichen Menschen, die auf der Kanalinsel Guernsey den deutschen Besatzern gewitzt die Stirn geboten haben. Dabei kann es eine Eins-zueins-Abbildung des vielschichtigen Romans von Mary Ann Shaffer in eineinhalb Stunden Film nicht geben. Doch „Juliet“-Fans müssen sich nicht grämen. Der erfahrene britische Regisseur Mike Newell („Vier Hochzeiten und ein Todesfall“) hat mit glücklichem Händchen ein stimmiges Extrakt dieser Geschichte über die Liebe zur Literatur auf die Leinwand gebracht.
Ein Jammer freilich ist – wie schon beim Buch – der deutsche Titel. Aus dem wundervoll skurrilen „The Guernsey Literary and Potato Peel Pie Society“(Club der Guernseyer Freunde von Dichtung und Kartoffelschalenauflauf) wurde das schlichte „Deine Juliet“. Der Briefroman erzählt die Geschichte der Londoner Autorin Juliet Ashton, die nach 1945 in eine Schaffenskrise gerät. Während des Krieges hat sie ihre Landsleute mit launigen Kolumnen bei Laune gehalten. Doch das scheint ihr nicht mehr zeitgemäß. Auf der Suche nach einem Thema mit Substanz kommt ihr der Brief des Farmers Dawsey Adams aus Guernsey gerade recht. Erzählt er doch von einer kleinen Runde, die sich während der Besatzung im „Club der Guernseyer Freunde von Dichtung und Kartoffelschalenauflauf “gegenseitig Trost spendete – und in dem viele erstmals in ihrem Leben ein Buch zur Hand nahmen und die Literatur als etwas Tröstliches erlebten.
Juliet beschließt, die Mitglieder des Literaturclubs auf Guernsey kennenzulernen und über sie zu schreiben. Durch regen Briefkontakt sind sie ihr ans Herz gewachsen – mehr als ihrem Verlobten, dem amerikanischen Verleger Mark Reynolds, gefällt. Auf Guernsey wird die Geschichte dann in zwei Zeitebenen erzählt: Wie Juliet nach und nach die Herzen der Clubmitglieder und vor allem Dawseys erobert, bildet die komische und amouröse Ebene. Wie sich die Clubmitglieder an die Grausamkeiten der Besatzungszeit erinnern, vor allem an die verschleppte Freundin Elisabeth, das bildet in Rückschauen die dramatische Ebene.
2000 Inselbewohner als Geiseln in Biberach interniert
Im Film wurde das Personal im Vergleich zum Roman reduziert. Tiefe und Komplexität gingen dadurch etwas verloren, der Charme jedoch blieb. Lily James ist einer der Shootingstars in Großbritannien, jüngst fiel sie in der „Mamma-Mia“-Fortsetzung auf. Die passende Besetzung für die sprunghafte Großstadtpflanze Juliet. Ein Urgestein britischer Schauspielkunst, Tom Courtenay, hat die Rolle des Eben Ramsey übernommen. Nur mit einem haderten zumindest die Besucher der Filmpremiere in Guernseys Hauptstadt St. Peter Port: Dass Dawsey, der belesene und in Juliet verliebte Farmer, vom Holländer Michiel Huisman gespielt wird, verletzte den Inselstolz. „Haben wir denn keinen Briten, der gut genug aussieht?“, empörte sich eine betagte Dame im Foyer des lokalen Kulturzentrums.
Überhaupt die Bewohner von Guernsey. Für sie ist dieser Film ein wichtiger Schritt in der Aufarbeitung ihrer Geschichte. Im Premierenpublikum saßen Menschen, die die Besatzung der Deutschen selbst noch erlebt haben. Churchill hatte die Kanalinseln entmilitarisiert und quasi aufgegeben. Kinder wurden nach England evakuiert und wuchsen ohne ihre Familien auf. Ab 1940 mussten sich die Bewohner mit den deutschen Besatzern arrangieren, 2000 von ihnen wurden als Geiseln im hiesigen Biberach interniert. Und dann der Hunger, der Gerichte wie den Kartoffelschalenauflauf, bestehend aus nichts als Kartoffelschalen und etwas Salz, hervorbrachte. Aus England kamen keine Lebensmittel mehr, schließlich sollte der Feind nicht durchgefüttert werden. Wie erfinderisch diese Zeit die Menschen werden ließ, ist zentrales Thema auch im Film.
Von allem etwas, von keinem zu viel: Romanze, Geschichtsstunde, Drama und auch ein bisschen Komödie. Dass diese Mischung nicht in eine Richtung ausschlägt, dafür brauchte es wohl einen Engländer wie Mike Newell. Schließlich sind die Inselbewohner bekannt dafür, einen romantischen Ausbruch schnell mit einer ironischen Bemerkung abzufangen. Und das Happy End sei den Guernseyern vergönnt. Und etwas Gutes resultierte aus dieser schrecklichen Zeit, wenn auch erst Jahre später: Heute gibt es eine lebendige Städtepartnerschaft zwischen Biberach und Guernsey.