Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Ausgelassene Freude, neue Demut
Wie der SSV Ulm 1846 den Sieg gegen Titelverteidiger Eintracht Frankfurt feiert
Nichts weniger als eine Sensation: FußballViertligist SSV Ulm 1846 hat im DFB-Pokal Titelverteidiger Eintracht Frankfurt bezwungen. Damit scheiterte nach 22 Jahren erstmals wieder der amtierende Pokalsieger in der ersten Runde. Spieler, Trainer und Betreuer des Außenseiters (Foto: Imago) feierten ausgelassen – und freuen sich auf Runde zwei. Die Einnahmen aus seinem Pokalabenteuer will der Verein für die weitere wirtschaftliche Erholung nutzen, schließlich war der SSV 2001, 2010 und 2014 pleite.
ULM - Es ist nicht so, dass Christian Ortag einen ruhigen Nachmittag erlebt hat. Aber von seinem Tor aus hatte der Schlussmann des SSV Ulm 1846 am Samstag in der zweiten Halbzeit einen sehr guten Blick auf die Stadionuhr. „Da habe ich viel öfter hingeschaut als in der Regionalliga“, gestand Ortag nach dem sensationellen 2:1-Sieg der Ulmer im DFBPokal gegen Eintracht Frankfurt, den schon gescheiterten Titelverteidiger. „Ich habe am Schluss fast mitgezählt.“
Es hat ja auch tatsächlich gereicht – der SSV steht nach der Riesenüberraschung gegen den Titelverteidiger in der zweiten Runde des DFB-Pokals und darf auf ein weiteres Heimspiel gegen einen namhaften Gegner hoffen. „Erneut ein Bundesligist wäre schön, damit das Stadion wieder voll wird“, meinte Ortag. „Es muss ja nicht gleich Bayern sein.“Dann verschwand der Torwart mit seinen Mitspielern in der Kabine, wo lautstark weitergefeiert wurde.
Spatzen in Feierlaune
Die Spatzen und ihre Anhänger waren in Feierlaune. Einen Bundesligisten schlägt man nicht alle Tage. Mit dieser Sensation hatten nur die wenigsten gerechnet. Doch an diesem Nachmittag vor 18 500 Zuschauern hat beim SSV alles geklappt. „Es war klar, dass wir alle einen Sahnetag erwischen mussten“, sagte Ortag. „Und bei Frankfurt durfte nicht alles klappen.“Warum seiner Mannschaft fast nichts gelang, musste Frankfurts Trainer Adi Hütter in der Pressekonferenz – in Hörweite der Kabinengesänge – erklären. „Wir haben zu inkonsequent gespielt“, ärgerte sich der neue Trainer der Hessen. „Diese Niederlage ist extrem enttäuschend.“Nach dem 0:5 im Supercup gegen Bayern München gab es für Frankfurt im Pokal die nächste Pleite. „Ich hoffe“, sagte Hütter, „dass meine Mannschaft gegen Freiburg ein anderes Gesicht zeigt.“
Holger Bachthaler, der Trainer des SSV Ulm 1846, hätte nichts dagegen, wenn seine Mannschaft (18.30 Uhr) am Dienstag im Viertligaalltag in Worms genauso auftritt wie gegen Frankfurt. „Wir haben Mut und Leidenschaft auf den Platz bekommen“, lobte Bachthaler. „Vielleicht war es ein kleiner Vorteil, dass wir schon im Spielrhythmus waren.“Ulm hat bereits vier Regionalligapartien absolviert, davon drei gewonnen und eine unentschieden gespielt. Das wollte Hütter aber so nicht stehen lassen und verwies auf die Gegentreffer. Das 0:1 fiel nach einer Standardsituation: „Wir wussten um Ulms Größe.“Dennoch kam nach dem Freistoß von Luigi Campagna kurz nach der Pause Ardian Morina relativ unbedrängt zum Kopfball. Der Pfosten und Torwart Frederik Rönnow retteten zunächst, doch Steffen Kienle war dann schneller als die Frankfurter. Das 0:2 brachte Hütter regelrecht auf die Palme. „Auf diesem Niveau darf so ein Konter nicht passieren.“Die Eintracht war bei eigenem Standard sehr weit aufgerückt, Hernández Salcedo verlor auch noch stümperhaft das Laufduell gegen den Torschützen Vitalij Lux.
Besonders Kienle verdiente sich durch viel Einsatz – und sein Tor – Bestnoten. Der 23-Jährige wurde zum besten Spieler der Partie gekürt. Die Trophäe ließ er nicht mehr los. „Die bekommt zu Hause über dem Bett einen Ehrenplatz.“Als Regionalligaspieler im DFB-Pokal, dann auch noch Man of the Match, wie es neudeutsch heißt. „Stück für Stück realisiere ich erst, dass wir tatsächlich gewonnen haben“, sagte Kienle lange nach Spielschluss. „Das ist ein geiles Gefühl.“
Die Vereinsikone bleibt ruhig
Einer, der im Ulmer Fußball alles miterlebt hat, blieb dagegen nüchtern und sachlich. Holger Betz, Torwartikone des SSV, stand beim letzten Auftritt der Spatzen im DFBPokal 2001 im Kasten des SSV. Damals gewann Ulm nach der Insolvenz als Verbandsligist gegen den 1. FC Nürnberg. Betz blieb trotz all der Turbulenzen immer bei den Spatzen. Mittlerweile ist er Torwarttrainer. „Ich habe versucht, den Jungs einzuimpfen, dass alles möglich ist“, sagte er. Dabei klang er so, als würde er über einen Sieg seiner Mannschaft in der Regionalliga gegen den FK Pirmasens sprechen. Nicht über den Sensationssieg gegen den drei Klassen höher spielenden Pokalverteidiger. „Ich wusste, was die Jungs leisten können, deswegen ist der Sieg für mich nicht so überraschend gekommen.“
Der Sieg der Ulmer war jedoch nichts anderes als eine Sensation. Eine, die sich die Frankfurter selbst zuzuschreiben hatten. „Wir haben schlecht gespielt, keinen Zweikampf gewonnen. So kann man nicht gewinnen“, sprach Makoto Hasebe Klartext. Sein Trainer sagte zum Schluss: „Vielleicht sollten wir jetzt weniger sprechen und mehr arbeiten.“Dann stiegen die Frankfurter ernüchtert in den Mannschaftsbus. Die Ulmer dagegen durften weiterfeiern. Samstagnacht sogar ausnahmsweise ohne Blick auf die Uhr.