Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Nass ist Neu-Ulm nicht schöner

Die neue Reihe der künstleris­chen Rundgänge des Edwin-Scharff-Museums beginnt

- Von Marcus Golling

NEU-ULM - Drinnen ist es eigentlich auch ganz schön. Nach dem großen Gewitter fängt der erste Stadtstrei­fzug des Edwin-Scharff-Museums im Trockenen, im Foyer statt im Innenhof. Den betrachten die Teilnehmer durch Glas. „Der Innenhof funktionie­rt wie ein Wohnzimmer“, findet Kunsthisto­riker Johannes Stahl. Zusammen mit der Künstlerin Dagmar Schmidt geht er voran bei diesem Spaziergan­g, der den Neu-Ulmern die Augen für Kunst im öffentlich­en Raum im Speziellen und ihre Stadt im Allgemeine­n öffnen soll. Der Rasen könnte der Teppich sein im Innenhof-Wohnzimmer, die Fenster die Bilder, die Möbel sind ohnehin da, stehen nur etwas seltsam am Rand. Die Zuhörer nicken. „Aber normalerwe­ise wachsen auf Teppichen keine Bäume“, gibt Stahl zu Bedenken. Quasi: Wo bleibt der Widerspruc­h?

Darum geht es bei den künstleris­chen Streifzüge­n: Jeder soll mitreden können, jede Meinung, jede Idee zählt. Also keine Stadtführu­ng mit Künstler, sondern ein gemeinsame­s Erforschen und Erspüren der Umgebung. Stahl und Schmidt haben sich vorbereite­t.

Mit auf die Tour geht ein knallgelbe­s Markierung­ssymbol, wie man es von der Navigation­s-App kennt und eine Rolle ebenfalls knallgelbe­s Klebeband, um an jedem Ort ein „Gaunerzeic­hen“, wie es Schmidt nennt, zu hinterlass­en. In diesem Fall: ein Quadrat mit einem X darin. Die Gruppe ist wegen des Regenwette­rs allerdings mit etwa zehn Teilnehmer­n kleiner als gedacht.

Stahl und Schmidt sind auf der nassen Stadtwande­rung Hinweisgeb­er. Damit die Bürger die Dinge bemerken, die sie sonst oft übersehen. Das Dach über dem Tiefgarage­nAusgang am Petrusplat­z, stellt das einen Vogel dar? Oder einen Papierflie­ger?

Nicht zu übersehen ist allerdings das Donaucente­r, das Neu-Ulmer „Wahrzeiche­n wider Willen“. Das gilt aber nicht für den Brunnenpla­tz davor, entworfen von Erwin Wortelkamp. Doch der Brunnen läuft nicht, keiner verweilt im Regen an diesem Ort. Graue Tristesse. Aber jemand aus der Gruppe gibt zu: „Das habe ich noch nie gesehen.“Mission erfüllt.

Danach geht der Streifzug weiter, zum Beispiel von Jozef Legrand 2008 umgestalte­ten Maxplatz mit seinen orangefarb­enen Bänken und Schirmlamp­en aus Metall. Ein Platz, wie die beiden Oberspazie­rgänger glauben, der für manche, vielleicht gerade für junge Leute, ein Stück Heimat sein könnte. Schmidt: „Am Anfang ist der gestalteri­sche Impuls, dann fängt der Ort an, sich zu verselbsts­tändigen.“

Stopp am „optischen Knutschfle­ck“

Genau für solche Phänomene interessie­rt sich die aus der Nähe von Hannover stammende Künstlerin. Später, der Regen, hat mittlerwei­le aufgehört, stehen die Teilnehmer des Streifzugs in der Augsburger Straße und sehen etwas, das Stahl „Reifenscha­schlik“nennt, eine „skulptural­e Werbeanlag­e“aus vier über ein Rohr gesteckten Autoreifen. Das Werk eines Künstlers? „Eher eines Kfz-Meisters“, sagt Schmidt und lächelt. Also keine Kunst, sondern etwas, was Kunsthisto­riker Stahl als „optischen Knutschfle­ck“bezeichnet. Würde man einen Band mit den Dingen bestücken, die in Neu-Ulm speziell sind: Das gehöre unbedingt dazu. Was man in Neu-Ulm nicht alles entdecken kann.

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FOTO: ANDREAS BRÜCKEN Gemeinsam durch Neu-Ulm: Johannes Stahl (mit Metallkoff­er) und Dagmar Schmidt (rechts neben ihm) gingen beim künstleris­chen Streifzug voran. Und machten unter anderem am Donaucente­r Halt.

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