Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Nass ist Neu-Ulm nicht schöner
Die neue Reihe der künstlerischen Rundgänge des Edwin-Scharff-Museums beginnt
NEU-ULM - Drinnen ist es eigentlich auch ganz schön. Nach dem großen Gewitter fängt der erste Stadtstreifzug des Edwin-Scharff-Museums im Trockenen, im Foyer statt im Innenhof. Den betrachten die Teilnehmer durch Glas. „Der Innenhof funktioniert wie ein Wohnzimmer“, findet Kunsthistoriker Johannes Stahl. Zusammen mit der Künstlerin Dagmar Schmidt geht er voran bei diesem Spaziergang, der den Neu-Ulmern die Augen für Kunst im öffentlichen Raum im Speziellen und ihre Stadt im Allgemeinen öffnen soll. Der Rasen könnte der Teppich sein im Innenhof-Wohnzimmer, die Fenster die Bilder, die Möbel sind ohnehin da, stehen nur etwas seltsam am Rand. Die Zuhörer nicken. „Aber normalerweise wachsen auf Teppichen keine Bäume“, gibt Stahl zu Bedenken. Quasi: Wo bleibt der Widerspruch?
Darum geht es bei den künstlerischen Streifzügen: Jeder soll mitreden können, jede Meinung, jede Idee zählt. Also keine Stadtführung mit Künstler, sondern ein gemeinsames Erforschen und Erspüren der Umgebung. Stahl und Schmidt haben sich vorbereitet.
Mit auf die Tour geht ein knallgelbes Markierungssymbol, wie man es von der Navigations-App kennt und eine Rolle ebenfalls knallgelbes Klebeband, um an jedem Ort ein „Gaunerzeichen“, wie es Schmidt nennt, zu hinterlassen. In diesem Fall: ein Quadrat mit einem X darin. Die Gruppe ist wegen des Regenwetters allerdings mit etwa zehn Teilnehmern kleiner als gedacht.
Stahl und Schmidt sind auf der nassen Stadtwanderung Hinweisgeber. Damit die Bürger die Dinge bemerken, die sie sonst oft übersehen. Das Dach über dem TiefgaragenAusgang am Petrusplatz, stellt das einen Vogel dar? Oder einen Papierflieger?
Nicht zu übersehen ist allerdings das Donaucenter, das Neu-Ulmer „Wahrzeichen wider Willen“. Das gilt aber nicht für den Brunnenplatz davor, entworfen von Erwin Wortelkamp. Doch der Brunnen läuft nicht, keiner verweilt im Regen an diesem Ort. Graue Tristesse. Aber jemand aus der Gruppe gibt zu: „Das habe ich noch nie gesehen.“Mission erfüllt.
Danach geht der Streifzug weiter, zum Beispiel von Jozef Legrand 2008 umgestalteten Maxplatz mit seinen orangefarbenen Bänken und Schirmlampen aus Metall. Ein Platz, wie die beiden Oberspaziergänger glauben, der für manche, vielleicht gerade für junge Leute, ein Stück Heimat sein könnte. Schmidt: „Am Anfang ist der gestalterische Impuls, dann fängt der Ort an, sich zu verselbstständigen.“
Stopp am „optischen Knutschfleck“
Genau für solche Phänomene interessiert sich die aus der Nähe von Hannover stammende Künstlerin. Später, der Regen, hat mittlerweile aufgehört, stehen die Teilnehmer des Streifzugs in der Augsburger Straße und sehen etwas, das Stahl „Reifenschaschlik“nennt, eine „skulpturale Werbeanlage“aus vier über ein Rohr gesteckten Autoreifen. Das Werk eines Künstlers? „Eher eines Kfz-Meisters“, sagt Schmidt und lächelt. Also keine Kunst, sondern etwas, was Kunsthistoriker Stahl als „optischen Knutschfleck“bezeichnet. Würde man einen Band mit den Dingen bestücken, die in Neu-Ulm speziell sind: Das gehöre unbedingt dazu. Was man in Neu-Ulm nicht alles entdecken kann.