Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Realität und Vision überlagern sich
„Mackie Messer“von Regisseur Joachim A. Lang ist eine anspruchsvolle Kinoproduktion
Der Haifisch hat immer noch Zähne. Vor der Moral kommt nach wie vor das Fressen. Und das Schiff, von dem die Seeräuber-Jenny träumt, hat acht Segel. Und 50 Kanonen. „Brechts Dreigroschenfilm“heißt „Mackie Messer“im Untertitel und gibt die Richtung vor – es geht um einen Film, der allerdings nie gedreht wurde, ein Traumprojekt. Ein Film mit Meta-Ebenen, ein Lehrstück, ein Film, der sein Publikum fordert – Brecht würde es mit Freuden sehen. Ein epischer Film über episches Theater.
1928 hat die „Dreigroschenoper“Premiere und wird schnell zum weltweiten Erfolg. Der junge Bertolt Brecht, noch kein Klassiker, und Komponist Kurt Weill machen Furore, und schon damals lässt der Erfolg den Wunsch nach einer Verfilmung aufkommen. Brecht selber nimmt das Projekt in die Hand und will gleich nach seiner Opernrevolution auch eine neue Form des Kinos, seinerzeit noch eine junge Gattung, schaffen: radikal, politisch, kompromisslos. Natürlich gerät er in Konflikt mit den Produzenten, die es nur auf den Erfolg an der Kasse abgesehen haben. Er verklagt die Firma und kämpft um seine künstlerische Integrität. Später muss Brecht das Vorhaben fallen lassen und vor den Nazis fliehen.
Vor dem heutigen Publikum entfaltet sich ein Film auf mehreren Ebenen: Man sieht Szenen der Opernhandlung, eher: Visionen, wie Brecht sie sich vorstellt. Man sieht die harte Realität der Wirtschaftskrise. Beide Ebenen gehen aber auch ineinander über, überlagern sich, sind durch Personen verbunden – etwa die Opernfigur der Polly Peachum, die auf der anderen Ebene die Schauspielerin Carola Neher ist, die diese Polly spielen soll. Es ist kein Spoiler, wenn man verrät, dass Brechts Dreigroschenfilm nie gedreht worden ist. „Mackie Messer“ist ein Film und gleichzeitig sein Making-of, oder besser: sein Not-Making-of.
Ein ambitioniertes Stück Kino, sperrig und eigenwillig. Sein Autor und Regisseur ist Joachim A. Lang, ein ausgewiesener Brecht-Kenner, der derzeit im SWR das Ressort „Sonderprojekte, Musik und Theater“leitet. Er hat seine Dissertation über Brecht verfasst, für einige Jahre das Brecht-Festival in Augsburg geleitet, mit Claus Peymann 2006 zu Brechts 50. Todestag eine Revue am Berliner Ensemble erarbeitet. Zuletzt hat er für die ARD die Künstlerbiografie „George“gedreht, in der Götz George seinen Vater Heinrich George spielte (2013).
Ein Spezialist also. Und ein Besessener. Lang hat ein Drehbuch geschrieben, in dem der Dichter komplett Originalton spricht – sämtliche Zitate Brechts stammen aus dessen Mund oder Feder, aus dessen Stücken, aus Prosa, Briefen oder sogar Gedichten – keine Zeile ist erfunden. Gleichzeitig legt er den Filme, soll man sagen: die Filme?, als Kommentar zur heutigen Zeit an, in der ja immer noch Künstler mit Produzenten kämpfen – ein Konflikt, der sich durch die gesamte Kinogeschichte zieht. Wobei es in diesem Kontext schon wieder kurios anmutet, wie hartleibig gerade die Brecht-Erben auf dessen Werk achten und schon einige freie Bearbeitungen abgelehnt haben.
Ein Coup ist die Originalmusik
Für „Mackie Messer“, im Sommer Eröffnungsfilm des Münchner Filmfestes, hat Lang eine prominente Riege von Mitwirkenden zusammengestellt. Lars Eidinger spielte einen ikonischen Brecht mit Nickelbrille, Lederjacke und wahlweise Proletenoder Kapitalistenzigarre, Tobias Moretti den Macheath. Dazu kommen Joachim Król als Peachum, Hannah Herzsprung (Polly), Claudia Michelsen (Frau Peachum), Britta Hammelstein (Lotte Lenya und Jenny), Robert Stadlober als Kurt Weill, Meike Droste als Helene Weigel. Und einen Moritatensänger gibt, wer sonst, Max Raabe. Ein Coup ist die Originalmusik des Wieners HK Gruber, der die Musik eines Weill oder auch Hanns Eisler schon oft interpretiert hat und 2008/09 mit einer konzertanten Aufführung der „Dreigroschenoper“auf Tournee war. Gruber leitete die Ensembles, die die Musik eigens für den Film eingespielt haben.
Mit „Mackie Messer“hat das Team um Joachim A. Lang einen anspruchsvollen Film gedeht, der sicher kein Massenpublikum ansprechen soll und wird. Man spürt aber, dass er für alle Beteiligten eine Herzensangelegenheit ist – was auch zu einer gewissen Selbstverliebtheit führt. Doch wie sagte Brecht einmal? „Wer die Handlung nicht gleich begreift, braucht sich nicht den Kopf zu zerbrechen. Sie ist unverständlich. Wenn Sie nur etwas sehen wollen, was einen Sinn macht, müssen Sie auf das Pissoir gehen.“