Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ein Mythos kandidiert

Friedrich Merz will an die Spitze der CDU – und vielleicht auch noch mehr

- Von Sabine Lennartz

BERLIN

- Jetzt ist es offiziell: Nach fast zehn Jahren Politikpau­se steigt Friedrich Merz in den Wettlauf um die Merkel-Nachfolge ein. Diese Nachricht elektrisie­rt viele, in Berlin wie im Südwesten: Mit Merz könnte für die Partei „eine völlig neue gestalteri­sche Diskussion beginnen“, sagt der frühere Landesgrup­penchef der baden-württember­gischen CDU, Georg Brunnhuber. „Solche Talente hat die CDU nicht viele.“

„Friedrich Merz ist ein Mythos“, meint der Thüringer CDU-Chef Mike Mohring, der eine solche Kandidatur allerdings für rückwärtsg­ewandt hält. Andere in der Partei setzen gerade auf die große, auch internatio­nale, Erfahrung von Friedrich Merz.

Der Jurist Merz war Aufsichtsr­at der Deutschen Börse, Aufsichtsr­at der Immobilien­gesellscha­ft IVG Immobilien, Beirat der Commerzban­k sowie von Borussia Dortmund und Vorsitzend­er der Atlantik-Brücke und Aufsichtsr­atsvorsitz­ender beim deutschen Ableger von Blackrock, dem weltgrößte­n Vermögensv­erwalter. Kann ein solcher Mann zurückkehr­en?

Der frühere baden-württember­gische Ministerpr­äsident Lothar Späth atmete in der ersten Zeit als Geschäftsf­ührer von Jenoptik einmal kräftig auf, weil er die Kleinkräme­r im politische­n Betrieb, die seinen Dienstreis­en nachspüren, endlich los sei. Kann man nach zehn Jahren in der freien Wirtschaft wieder in die Politik zurück? „Merz kann das auf jeden Fall“, sagt Georg Brunnhuber, der begeistert ist von Merz’ Kandidatur. „Merz könnte den Kurs wieder sichtbar machen.“

Es geht um das Wirtschaft­sprofil

In den letzten Jahren habe das wirtschaft­spolitisch­e Profil der Union gelitten, so Brunnhuber. Das sehen viele so. Eine Gruppe baden-württember­gischer Politiker macht sich in einem offenen Brief für Merz stark, unter seinen Fans sind die CDU-Kreisvorsi­tzenden vom Bodenseekr­eis, Breisgau-Hochschwar­zwald, Ravensburg, Reutlingen und Schwäbisch Hall, Volker Mayer-Lay, MdL , Christian Natterer, Manuel Hailfinger und Dominik Schloßstei­n, der frühere Landesumwe­ltminister aus Ravensburg, Ulrich Müller, der Hohenloher CDU-Bundestags­abgeordnet­e und PKM-Vorsitzend­e Christian von Stetten und der frühere Leutkirche­r CDU-Bundestags­abgeordnet­e Waldemar Westermaye­r.

Rückspiel gegen Merkel

Friedrich Merz betonte in einem Interview Ende letzten Jahres noch, dass er nicht vorhabe, in die aktive Politik zurückzuke­hren. Doch er mischte sich mehr und mehr ein. Erst mit indirekter Kritik an Merkels Stil: Er erklärte die Strategie für erledigt, „möglichst alle Wähler auf der anderen Straßensei­te ins Koma zu versetzen“. Dann als Brexit-Beauftragt­er der nordrhein-westfälisc­hen Landesregi­erung. Jetzt schreibt er in seiner Erklärung, er habe sich nach reiflicher Überlegung und zahlreiche­n Gesprächen entschiede­n. Er wolle alles tun, um den inneren Zusammenha­lt und die Zukunftsfä­higkeit der CDU Deutschlan­d zu stärken.

Manche allerdings fürchten auch, dass Merz sich noch an Angela Merkel rächen will, die seiner Karriere ein jähes Ende bereitete.

Merz kam 1994 in den Bundestag, wo er sich als Wirtschaft­s- und Finanzpoli­tiker schnell einen Namen machte. Im Jahr 2000 übernahm er von Wolfgang Schäuble den Fraktionsv­orsitz. CDU-Politiker wie Norbert Barthle, die ihn noch als Fraktionsc­hef erlebt haben, erinnern sich daran, dass er „immer klare Vorstellun­gen hatte, wo es hingehen soll und er sich mit weitreiche­nden Vorschläge­n zur Steuerpoli­tik profiliert hat“.

2002 soll er vom damaligen Unions-Kanzlerkan­didaten Edmund Stoiber die Zusage gehabt haben, Fraktionsc­hef zu bleiben. Doch nach der verlorenen Bundestags­wahl griff Angela Merkel nach dem Posten. Merz wurde Fraktionsv­ize und erarbeitet­e 2003 das Konzept für ein vereinfach­tes Steuersyst­em, das auf einen Bierdeckel passen sollte. Gleichzeit­ig ließ er wenige Möglichkei­ten verstreich­en, Merkel zu kritisiere­n.

Der Mann mit der Leitkultur

Als Angela Merkel 2005 Kanzlerin wurde, nahm sie Merz nicht in ihre Führungsri­ege auf. Er saß als einfacher Abgeordnet­er im Bundestag, 2009 schied er aus und konzentrie­rte sich auf seine Arbeit als Anwalt einer internatio­nalen Wirtschaft­skanzlei in Düsseldorf. Friedrich Merz wird bei seiner Kandidatur von seinem Heimat-CDU-Verband Hochsauerl­andkreis unterstütz­t.

Der dreifache katholisch­e Familienva­ter, der in Arnsberg lebt, wurde in Berlin als Streiter für eine deutsche „Leitkultur“bekannt. „ Das Aufnahmela­nd muss tolerant und offen sein, Zuwanderer, die auf Zeit oder auf Dauer bei uns leben wollen, müssen ihrerseits bereit sein, die Regeln des Zusammenle­bens in Deutschlan­d zu respektier­en.“, forderte er vor 18 Jahren. Und er warnte damals schon, wer dieser Diskussion ausweiche, bereite den Boden für politische­n Radikalism­us.

 ?? FOTO: DPA ?? Friedrich Merz 2015 bei einer Konferenz in Berlin als Vorstandsv­orsitzende­r der Atlantik-Brücke.
FOTO: DPA Friedrich Merz 2015 bei einer Konferenz in Berlin als Vorstandsv­orsitzende­r der Atlantik-Brücke.

Newspapers in German

Newspapers from Germany