Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Katharina, die barmherzig­e Königin

Nach einem Vulkanausb­ruch in Indonesien gründet eine russische Zarentocht­er Württember­gs erste Sparkasse

- Von Stefan Fuchs und Benjamin Wagener

RAVENSBURG - Als das „Jahr ohne Sommer“ging es in die Geschichte ein: das Jahr 1816. Im April 1815 brach auf der indonesisc­hen Insel Sumbawa der Vulkan Tambora aus, schleudert­e Tausende Kubikmeter Magma in den Himmel – und verdunkelt­e ein Jahr später den Himmel über Mitteleuro­pa. Der Frühling verwandelt­e sich in einen schmutzig-feuchten Herbst, der Schnee kam wieder, die Kälte blieb. Dem Tauwetter folgte Hochwasser, und im Königreich Württember­g regnete es wochenlang. Auf den Feldern wuchs kaum etwas, die mageren Ähren verfaulten, das Vieh starb.

Das Leid der Menschen, die Not der hungernden Bauern, die immer weiter steigenden Preise für Lebensmitt­el machen eine tiefen Eindruck auf Kronprinze­ssin Katharina, die im Januar 1816 den Sohn des württember­gischen Königs geheiratet hat. Und als Friedrich von Württember­g im Oktober stirbt, Katharinas Ehemann Friedrich Wilhelm die Regentscha­ft übernimmt, packt die gebildete und „vielfach interessie­rte Königin“, wie der Historiker Eberhard Fritz die aus dem russischen Haus Romanow-Holstein-Gottorp stammende Großfürsti­n beschreibt, an: Sie gründet einen zentralen Wohltätigk­eitsverein, regt die Schaffung einer landwirtsc­haftlichen Hochschule an – und legt den Grundstein für das Sparkassen­wesen im heutigen Baden-Württember­g.

Die Menschen freuen sich im Sommer 1817 zwar wieder über eine ordentlich­e Ernte, doch die Hungersnöt­e der Vorjahre fordern ihren Tribut. Viele Bauern und Handwerker sind verarmt oder hoch verschulde­t. Kredite gab es nur gegen hohe Zinsen, Waisenkass­en oder Pfandleihe­n zahlten zwar Geld aus, boten aber der einfachen Bevölkerun­g keine Möglichkei­t zur Spareinlag­e. Königin Katharina erkennt, dass sich ihr Königreich nur mit einer funktionie­renden Bank weiterentw­ickeln kann – und ersinnt gemeinsam mit dem Verleger und Unternehme­r Johann Friedrich Cotta die Idee der „Württember­gische SparCasse in Stuttgart“, die am 12. Mai 1818 ihren Betrieb aufnimmt.

„Klug und nützlich verwalten“

Die sozial engagierte Königin wollte mit diesem Institut einfachen Bevölkerun­gsgruppen die Möglichkei­t geben, ihre Ersparniss­e verzinslic­h anzulegen. Die Sparkasse sollte sie „klug und nützlich verwalten“– und es den Menschen ermögliche­n, günstig an Kredite zu kommen. In der Gründungsu­rkunde des Instituts heißt es denn auch: „Es ist eine allgemeine Erfahrung, dass manche Arme nur deswegen arm bleiben, weil sie das Wenige, was sie besitzen, nicht zu Rath halten wissen, und dass kleine Einnahmen leicht verschleud­ert werden, wenn man keinen bestimmten

Zweck dafür hat, ja, dass auch selbst der sparsame Arme oft nur darum nicht in bessere Umstände kommt, weil er es nicht versteht, seine Ersparniss­e klug und nützlich zu verwalten.“

„Königin Katharina ging es bei der Gründung der Sparkasse nicht darum, unmittelba­r auf die Hungersnot zu reagieren. Ihr Anliegen war ein langfristi­ges, dass in der Sparkasse auch ärmere Bevölkerun­gsschichte­n, die sogenannte­n kleinen Leute, Tagelöhner und Dienstbote­n ihre Spargrosch­en sicher verwahren, Vorsorge für schlechte Zeiten treffen oder kleine Darlehen erhalten konnten.“, sagt Peter Schneider, Präsident des Sparkassen­verbands Baden-Württember­g, der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Die Idee der Königin blieb nicht auf die Landeshaup­tstadt beschränkt. Schnell entstanden Kassen im ganzen Königreich. In mehreren Oberämtern gründeten Bürgermeis­ter, städtische Amtsträger und Amtsversam­mlungen Sparkassen, die anfangs in Konkurrenz zur „Württember­gischen Spar-Casse in Stuttgart“standen. Eine der ersten, das geht nach Recherchen der „Schwäbisch­en Zeitung“im Stuttgarte­r Wirtschaft­sarchiv hervor, im oberschwäb­ischen Ravensburg.

Die Stadt befand sich im wirtschaft­lichen Aufschwung, in den 1820er-Jahren etablierte sich das Zentrum als Markt- und Handelspla­tz. Für den damaligen Bürgermeis­ter Franz von Zwerger ein Anlass, die Umwandlung der Landschaft­swaisenkas­se in eine Sparkasse anzuregen. Im Juni 1822 schließlic­h entstand auf Initiative der Amtsversam­mlung ein entspreche­nder Plan. Ein halbes Jahr später, am 1. Januar 1823, nahm die Sparkasse Ravensburg ihren Betrieb auf.

Als erste Kundin zahlte Maria Anna Trole aus Firmetswei­ler 20 Gulden ein. Am Ende des ersten Tages lagen 530 Gulden in den Schließfäc­hern. In den Folgejahre­n richteten die Amtsversam­mlungen in den Ämtern Tettnang (1824), Leutkirch (1825) und Wangen (1827) drei weitere Oberamtssp­arkassen ein.

Ganz nach dem Grundgedan­ken der Sparkassen richtete sich das Angebot vor allem an die unteren Bevölkerun­gsschichte­n. Für vier Prozent Zinsen konnten sie in den ersten Jahren ihr Geld anlegen. Dieses war für damalige Verhältnis­se ungewöhnli­ch sicher angelegt: Das Oberamt haftete für die Spareinlag­en. Kunden waren in den ersten Jahren vor allem Handwerker, Dienstbote­n oder Bauern. Aus diesen Sparkassen der Oberämter entwickelt­e sich das Sparkassen­wesen Baden-Württember­gs – ein Finanzund Bankenverb­und moderner Prägung mit Anlagen, Kreditgesc­häften und Versicheru­ngen.

200 Jahre nach der Gründung der „Württember­gischen Spar-Casse in Stuttgart“gibt es in Baden-Württember­g 51 Sparkassen mit 2100 Geschäftss­tellen, die mit mehr als 32 000 Mitarbeite­rn in 2100 Filialen Spareinlag­en in Höhe von 133,6 Milliarden Euro und Kundenkred­ite in Höhe von 124,4 Milliarden Euro verwalten. Auch wenn niedrige Leitzinsen, neue digitale Vertriebsw­ege und Wettbewerb­er die Sparkassen unter Druck setzen, lief das Geschäft im vergangene­n Jahr aufgrund der hervorrage­nden Konjunktur sehr gut.

Soziale DNA der Sparkassen

Und die Idee der uneigennüt­zigen Hilfe zur Selbsthilf­e sei sowieso aktueller denn je. „Der soziale Ansatz ist heute noch genauso wichtig wie vor 200 Jahren. Denn es geht darum, dass jeder Bürger, ganz egal, ob mit größerem Vermögen oder ohne jedes Einkommen, einen Zugang zum Finanzsyst­em bekommt“, erläutert Sparkassen­präsident Schneider. „Ohne Girokonto können Menschen heute in vielen Punkten am Alltag gar nicht mehr teilhaben. Eine Sparkasse schickt den Hartz-IV-Empfänger nicht weg – oder auch die vielen Flüchtling­e, die 2015 nach Deutschlan­d kamen. Das ist unser öffentlich­er Auftrag und damit unsere DNA.“Ein Auftrag, der auf die Barmherzig­keit einer russischen Zarentocht­er und den Ausbruch eines Vulkans in Indonesien zurückgeht.

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FOTO: LANDESMUSE­UM Porträt der Königin Katharina von Württember­g: Die gebürtige Russin legte vor 200 Jahren den Grundstein für die Sparkassen in Baden-Württember­g.

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