Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Katharina, die barmherzige Königin
Nach einem Vulkanausbruch in Indonesien gründet eine russische Zarentochter Württembergs erste Sparkasse
RAVENSBURG - Als das „Jahr ohne Sommer“ging es in die Geschichte ein: das Jahr 1816. Im April 1815 brach auf der indonesischen Insel Sumbawa der Vulkan Tambora aus, schleuderte Tausende Kubikmeter Magma in den Himmel – und verdunkelte ein Jahr später den Himmel über Mitteleuropa. Der Frühling verwandelte sich in einen schmutzig-feuchten Herbst, der Schnee kam wieder, die Kälte blieb. Dem Tauwetter folgte Hochwasser, und im Königreich Württemberg regnete es wochenlang. Auf den Feldern wuchs kaum etwas, die mageren Ähren verfaulten, das Vieh starb.
Das Leid der Menschen, die Not der hungernden Bauern, die immer weiter steigenden Preise für Lebensmittel machen eine tiefen Eindruck auf Kronprinzessin Katharina, die im Januar 1816 den Sohn des württembergischen Königs geheiratet hat. Und als Friedrich von Württemberg im Oktober stirbt, Katharinas Ehemann Friedrich Wilhelm die Regentschaft übernimmt, packt die gebildete und „vielfach interessierte Königin“, wie der Historiker Eberhard Fritz die aus dem russischen Haus Romanow-Holstein-Gottorp stammende Großfürstin beschreibt, an: Sie gründet einen zentralen Wohltätigkeitsverein, regt die Schaffung einer landwirtschaftlichen Hochschule an – und legt den Grundstein für das Sparkassenwesen im heutigen Baden-Württemberg.
Die Menschen freuen sich im Sommer 1817 zwar wieder über eine ordentliche Ernte, doch die Hungersnöte der Vorjahre fordern ihren Tribut. Viele Bauern und Handwerker sind verarmt oder hoch verschuldet. Kredite gab es nur gegen hohe Zinsen, Waisenkassen oder Pfandleihen zahlten zwar Geld aus, boten aber der einfachen Bevölkerung keine Möglichkeit zur Spareinlage. Königin Katharina erkennt, dass sich ihr Königreich nur mit einer funktionierenden Bank weiterentwickeln kann – und ersinnt gemeinsam mit dem Verleger und Unternehmer Johann Friedrich Cotta die Idee der „Württembergische SparCasse in Stuttgart“, die am 12. Mai 1818 ihren Betrieb aufnimmt.
„Klug und nützlich verwalten“
Die sozial engagierte Königin wollte mit diesem Institut einfachen Bevölkerungsgruppen die Möglichkeit geben, ihre Ersparnisse verzinslich anzulegen. Die Sparkasse sollte sie „klug und nützlich verwalten“– und es den Menschen ermöglichen, günstig an Kredite zu kommen. In der Gründungsurkunde des Instituts heißt es denn auch: „Es ist eine allgemeine Erfahrung, dass manche Arme nur deswegen arm bleiben, weil sie das Wenige, was sie besitzen, nicht zu Rath halten wissen, und dass kleine Einnahmen leicht verschleudert werden, wenn man keinen bestimmten
Zweck dafür hat, ja, dass auch selbst der sparsame Arme oft nur darum nicht in bessere Umstände kommt, weil er es nicht versteht, seine Ersparnisse klug und nützlich zu verwalten.“
„Königin Katharina ging es bei der Gründung der Sparkasse nicht darum, unmittelbar auf die Hungersnot zu reagieren. Ihr Anliegen war ein langfristiges, dass in der Sparkasse auch ärmere Bevölkerungsschichten, die sogenannten kleinen Leute, Tagelöhner und Dienstboten ihre Spargroschen sicher verwahren, Vorsorge für schlechte Zeiten treffen oder kleine Darlehen erhalten konnten.“, sagt Peter Schneider, Präsident des Sparkassenverbands Baden-Württemberg, der „Schwäbischen Zeitung“.
Die Idee der Königin blieb nicht auf die Landeshauptstadt beschränkt. Schnell entstanden Kassen im ganzen Königreich. In mehreren Oberämtern gründeten Bürgermeister, städtische Amtsträger und Amtsversammlungen Sparkassen, die anfangs in Konkurrenz zur „Württembergischen Spar-Casse in Stuttgart“standen. Eine der ersten, das geht nach Recherchen der „Schwäbischen Zeitung“im Stuttgarter Wirtschaftsarchiv hervor, im oberschwäbischen Ravensburg.
Die Stadt befand sich im wirtschaftlichen Aufschwung, in den 1820er-Jahren etablierte sich das Zentrum als Markt- und Handelsplatz. Für den damaligen Bürgermeister Franz von Zwerger ein Anlass, die Umwandlung der Landschaftswaisenkasse in eine Sparkasse anzuregen. Im Juni 1822 schließlich entstand auf Initiative der Amtsversammlung ein entsprechender Plan. Ein halbes Jahr später, am 1. Januar 1823, nahm die Sparkasse Ravensburg ihren Betrieb auf.
Als erste Kundin zahlte Maria Anna Trole aus Firmetsweiler 20 Gulden ein. Am Ende des ersten Tages lagen 530 Gulden in den Schließfächern. In den Folgejahren richteten die Amtsversammlungen in den Ämtern Tettnang (1824), Leutkirch (1825) und Wangen (1827) drei weitere Oberamtssparkassen ein.
Ganz nach dem Grundgedanken der Sparkassen richtete sich das Angebot vor allem an die unteren Bevölkerungsschichten. Für vier Prozent Zinsen konnten sie in den ersten Jahren ihr Geld anlegen. Dieses war für damalige Verhältnisse ungewöhnlich sicher angelegt: Das Oberamt haftete für die Spareinlagen. Kunden waren in den ersten Jahren vor allem Handwerker, Dienstboten oder Bauern. Aus diesen Sparkassen der Oberämter entwickelte sich das Sparkassenwesen Baden-Württembergs – ein Finanzund Bankenverbund moderner Prägung mit Anlagen, Kreditgeschäften und Versicherungen.
200 Jahre nach der Gründung der „Württembergischen Spar-Casse in Stuttgart“gibt es in Baden-Württemberg 51 Sparkassen mit 2100 Geschäftsstellen, die mit mehr als 32 000 Mitarbeitern in 2100 Filialen Spareinlagen in Höhe von 133,6 Milliarden Euro und Kundenkredite in Höhe von 124,4 Milliarden Euro verwalten. Auch wenn niedrige Leitzinsen, neue digitale Vertriebswege und Wettbewerber die Sparkassen unter Druck setzen, lief das Geschäft im vergangenen Jahr aufgrund der hervorragenden Konjunktur sehr gut.
Soziale DNA der Sparkassen
Und die Idee der uneigennützigen Hilfe zur Selbsthilfe sei sowieso aktueller denn je. „Der soziale Ansatz ist heute noch genauso wichtig wie vor 200 Jahren. Denn es geht darum, dass jeder Bürger, ganz egal, ob mit größerem Vermögen oder ohne jedes Einkommen, einen Zugang zum Finanzsystem bekommt“, erläutert Sparkassenpräsident Schneider. „Ohne Girokonto können Menschen heute in vielen Punkten am Alltag gar nicht mehr teilhaben. Eine Sparkasse schickt den Hartz-IV-Empfänger nicht weg – oder auch die vielen Flüchtlinge, die 2015 nach Deutschland kamen. Das ist unser öffentlicher Auftrag und damit unsere DNA.“Ein Auftrag, der auf die Barmherzigkeit einer russischen Zarentochter und den Ausbruch eines Vulkans in Indonesien zurückgeht.