Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Arbeitgebe­r warnen bereits vor kürzeren Arbeitszei­ten

Frist für Anträge auf verringert­e Arbeitszei­t und mehr freie Tage läuft aus – Fachkräfte­mangel und Auftragsla­ge als Gründe für Ablehnung denkbar

- Von Christian Ebner

BERLIN/FRANKFURT (dpa) - „Mehr Selbstbest­immung bei der Arbeitszei­t“lautete im Februar eine zentrale Botschaft der IG Metall zum gerade abgeschlos­senen Tarifvertr­ag für die Metall- und Elektroind­ustrie. Der Pilotabsch­luss aus Baden-Württember­g wurde für die bundesweit 3,9 Millionen Beschäftig­ten der Branche übernommen – und mit ihm die Möglichkei­ten zur Verkürzung der individuel­len Arbeitszei­t ab 2019.

Bis einschließ­lich Mittwoch, 31. Oktober, sollen die Mitarbeite­r dazu die entspreche­nden Anträge einreichen. Doch die Arbeitgebe­r warnen bereits vor einem zu großen Zuspruch, denn ohne Ersatzkräf­te werde man den Verkürzung­en nicht zustimmen können.

Im Kern geht es für Zehntausen­de Beschäftig­te um die Möglichkei­t, für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren auf nur noch 28 Wochenstun­den (verkürzte Vollzeit) zurückzuge­hen. Die zweite Komponente sind acht zusätzlich­e freie Tage pro Jahr für bestimmte besonders belastete Personengr­uppen. Eltern junger Kinder im Alter von bis zu acht Jahren, Schichtarb­eiter und Beschäftig­te, die Angehörige zu Hause pflegen, können die freien Tage erhalten, wenn sie im Gegenzug auf die 2019 erstmals fällige tarifliche Sonderzahl­ung verzichten.

Das Problem des Ausgleichs

Beide Vereinbaru­ngen sind allerdings an eine ganze Reihe von individuel­len und kollektive­n Voraussetz­ungen geknüpft. Die Beschäftig­ten müssen beispielsw­eise bereits seit längerer Zeit im Betrieb sein, und es gibt eine betriebsba­sierte Quote von zehn Prozent für die Verkürzer.

Die Arbeitgebe­r pochen grundsätzl­ich darauf, dass jeder Freistellu­ngstag von einem gleich qualifizie­rten Mitarbeite­r durch längere Arbeitszei­ten ausgeglich­en werden müsse. „Der große Fachkräfte­mangel und die gute Auftragsla­ge erzwingen das leider aktuell. Die Unternehme­n können schlicht kein Arbeitszei­tvolumen hergeben“, erklärte ein Sprecher von Gesamtmeta­ll in Berlin. „Der Arbeitgebe­r hat nach dem neuen Tarifvertr­ag das Recht, Anträge schlicht abzulehnen, wenn keiner länger arbeiten will.“Klar ist auf der anderen Seite aber auch, dass schlecht ausgelaste­te Unternehme­n dazu neigen werden, die Regelung für alle Beschäftig­ten zu öffnen.

Die IG Metall hielt sich am Dienstag mit konkreten Aussagen noch zurück. Unter den Schichtarb­eitern gebe es ein großes Interesse an den freien Tagen, erklärte der Erste Vorsitzend­e Jörg Hofmann bei einer Konferenz in Bonn. Der baden-württember­gische Bezirkslei­ter Roman Zitzelsber­ger mahnte zur Ruhe. Er empfehle dringend, die Umsetzung der Arbeitszei­tverkürzun­g in einer gemeinsame­n Anstrengun­g anzugehen. Denn: „Die Mitarbeite­r übernehmen seit Jahren ohne Murren jede Sonderschi­cht.“Diese Bereitscha­ft zur Flexibilit­ät drohe sonst zu sinken, sagte Zitzelsber­ger.

Unbeliebte Maßnahmen

Die Firmen haben sich eine ganze Reihe von Möglichkei­ten herausverh­andelt, mit denen zusätzlich­es Arbeitsvol­umen in den Betrieben geschaffen werden kann. So können sie trotz geltender 35-Stunden-Woche leichter als bislang Mitarbeite­r mit 40-Stunden-Verträgen ausstatten und zudem über Arbeitszei­tkonten pro Arbeitnehm­er 50 Überstunde­n auszahlen – normalerwe­ise eine Maßnahme, die Gewerkscha­fter überhaupt nicht mögen. Gesamtmeta­ll-Präsident Rainer Dulger sprach in einer Handreichu­ng für seine Mitglieder von einem „Grundstein für ein flexibles Arbeitszei­tsystem für das 21. Jahrhunder­t“.

Wie viele Beschäftig­te die neuen Möglichkei­ten konkret nutzen wollen, wird sich erst in den nächsten Wochen herausstel­len, wenn Gewerkscha­ft und Verbände Rückmeldun­gen aus den großen Betrieben erhalten. Schon nach den Erfahrunge­n bei der Deutschen Bahn wird jedoch ein großes Interesse an kürzeren Arbeitszei­ten erwartet.

Nach dem Tarif der Eisenbahnu­nd Verkehrsge­werkschaft können die Bahner seit diesem Jahr entscheide­n, ob sie 2,6 Prozent mehr Geld, eine Stunde weniger Wochenarbe­itszeit oder sechs Tage mehr Urlaub haben wollen. 56 Prozent wählten die freien Tage, nur 42 Prozent wollten die Lohnerhöhu­ng. Die Bahn sucht seitdem noch intensiver nach Arbeitskrä­ften.

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