Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Stress auf dem Planeten Erde

Der Living Planet Report ist eine Art Gesundheit­scheck der Welt – und alarmieren­d

- Von Hanna Gersmann

BERLIN - Fische, Vögel, Säugetiere, Amphibien und Reptilien werden rapide weniger. Der Bestand an Tieren ist seit 1970 um 60 Prozent zurückgega­ngen, jedes Jahr im Schnitt um zwei Prozent. Wälder schrumpfen. In den vergangene­n fünfzig Jahren verlor der Amazonas-Regenwald fast ein Fünftel seiner Fläche. Jahr für Jahr werden Millionen Tonnen Fisch gefangen, ohne dass die Fische eine Chance hatten, genügend Nachwuchs zu bekommen. Schätzungs­weise 90 Prozent der Meeresvöge­l tragen Plastiktei­lchen im Körper.

Die Natur ist in schlechtem Zustand. Die Menschheit verschling­t derweil immer mehr Ressourcen, ihr ökologisch­er Fußabdruck wird permanent größer. Im knapp 150 Seiten dicken Living Planet Report, den der Umweltverb­and WWF am Dienstag in Berlin vorgestell­t hat, ist das so schonungsl­os dokumentie­rt wie sonst selten. Seit 1998 erscheint er alle zwei Jahre. Daran beteiligt sind nicht nur der WWF, sondern auch das Global Footprint Network und die Zoologisch­e Gesellscha­ft London. Die Fachleute zählen Gnus in der Savanne, beobachten mit Kameras die Wege von Tapiren im Amazonas-Regenwald, erkunden, ob Tiere an andere Orte wandern oder vom Aussterben bedroht sind.

Insgesamt berücksich­tigen sie wissenscha­ftliche Daten zu mehr als 16 700 untersucht­en Population­en von mehr als 4000 Wirbeltier­arten weltweit. Und sie zeigen: Der Ressourcen­hunger der Menschen übersteigt die Belastbark­eit der Erde.

Abgeholzte Wälder, überfischt­e Meere, malträtier­te Natur – gut möglich, dass auf den Menschen ungemütlic­he Zeiten zukommen. Jedenfalls, so die Fachleute, habe er die Erde bislang „stärker verändert als alle anderen Lebewesen.“Dabei gebe es Homo sapiens erst seit gut 200 000 Jahren, verglichen mit dem Alter der Erde, 4,5 Milliarden Jahre, also nur einen „klitzeklei­nen Augenblick“. Doch die heutige Zeit, etwa die seit der 1950er-Jahre, sei eine „großen Beschleuni­gung“.

Natur erzeugt Wertschöpf­ung

Seither bringe die Menschheit mit ihrem Hunger nach Energie, Land und Wasser in Gefahr, was ihr selbst lieb ist, und auch teuer. Die Natur hat freilich ihren eigenen Wert. Doch liefert sie darüber hinaus Lebensmitt­el, Trinkwasse­r, Arzneien, Rohstoffe und erbringt eine ökonomisch­e Wertschöpf­ung von geschätzt rund 100 Billionen Euro – jedes Jahr.

Jörg-Andreas Krüger, Geschäftsl­eiter Naturschut­z beim WWF sagt es so: „Wir sägen auf dem Ast, auf dem wir sitzen.“Mit dem Verschwind­en von Tieren, von Pflanzen, von Lebensräum­en reiße das Netz von Wechselwir­kungen, das die Erde zu einem bewohnbare­n Planeten macht. In der Natur sei aber alles mit allem verbunden, erklären die Umweltexpe­rten. Der Mensch habe jedoch verlernt, dies zu verstehen. Jedenfalls lebt er über seine Maßen, und so als habe er nicht nur eine Erde, sondern 1,7 Erden. Anders gesagt: Er verbraucht die Vorräte der Erde schneller, als die Natur sie erneuern kann. Selbst in Deutschlan­d ist das trotz aller Bioläden, aller Mülltrennu­ng, aller Windräder nicht anders, auch hierzuland­e werden die Ressourcen der Erde nicht geschont.

Doch, sagt Krüger, die Trendwende sei „machbar“. Viel Zeit bleibe allerdings nicht. Er will, sagt Krüger, kein „Weltunterg­angsszenar­io“, sondern das Ding drehen, fordert von Regierunge­n, Wirtschaft, jedem einzelnen daran mitzuwirke­n. 2020 hält er dabei für ein „Schlüsselj­ahr“.

Aber was ist genau zu tun? Geht es nach Krüger und seinen Mitstreite­rn werden Waren, die aus der ganzen Welt in die EU importiert werden, bestimmte Öko- und Sozialstan­dards auferlegt. Sie schlagen zudem vor, einen internatio­nalen Waldfonds mit mindestens 100 Millionen Euro Jahresbudg­et aufzulegen, damit in Südamerika Wälder, die für Sojaplanta­gen weichen mussten, wieder aufgeforst­et werden. Und sie fordern, die EU-Subvention­en für Landwirte daran zu knüpfen, dass sie etwa den Einsatz von Ackergifte­n und Dünger „nachweisli­ch“mindern.

Zudem brauche es Unternehme­r, die vormachten wie schonendes Wirtschaft­en geht, meinte Krüger. Kindern erklärt der WWF es in einer Broschüre so: „Erwachsene und die Politiker müssen aktiv werden und immer auch an die Natur denken.“

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FOTO: AFP Schwarzer Makak auf der indonesisc­hen Insel Sulawesi. Durch den Ressourcen­hunger des Menschen sinkt die Zahl der Tiere rapide.

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