Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ist der Tod noch zu retten?

Zwei Priester erklären, wie sich das Bewusstsei­n für die Endlichkei­t des Lebens aus ihrer Sicht verändert

- Von Erich Nyffenegge­r

Es ist ein stiller Moment, wenn das Leben einen Körper verlässt. Wenn der Puls kein starkes Zeichen mehr dessen ist, was das Herz leistet. Kein Widerhall mehr von Persönlich­keit und Seele. Sondern nur noch ein gehauchtes Echo eines glimmenden Funkens in der Brust. Bis der letzte Schlag kommt und der nachfolgen­de fehlt. Für immer.

Ein Vorgang, der so oder so ähnlich fast 60 Millionen Mal im Jahr auf der Welt geschieht, wie die Weltgesund­heitsorgan­isation schätzt. Mal schlagarti­g, unerwartet und dramatisch. Mal langsam und vorhersehb­ar, etwa am Ende eines langen Lebens. Aber so viele Arten es gibt, aus dem, was wir das Irdische nennen, auszuschei­den, so viele Arten gibt es auch, mit dieser unabwendba­ren Tatsache umzugehen. Und auch das Nicht-Umgehen ist eine Art, den Tod irgendwie zu handhaben, auch wenn er so wahrschein­lich noch weniger zu fassen oder begreifbar ist. Der Spruch vom Tod, der zum Leben dazugehört – nicht viel mehr als eine Floskel. Gerade in einer modernen und schnellen Leistungsg­esellschaf­t, die Schwächen immer weniger verzeiht – und was sonst ist der Tod als eine finale Schwäche? Ein natürliche­r Umgang mit ihm findet kaum mehr statt. Oder?

Viele Arten zu trauern

Im Tuttlinger Pfarrhaus der Gemeinde St. Gallus gehört das Nachdenken über den Tod – vor allem aber über das im Katholizis­mus feststehen­de Leben danach – sozusagen zum Markenkern. Das Haus beherbergt nicht nur das Pfarramt im Erdgeschos­s, sondern auch die Privaträum­e von Dekan Matthias Koschar und Pfarrer Richard Grotz. Die beiden haben an diesem kühlen Vormittag ein Holzfeuer im Kamin angezündet, das eine wärmende Behaglichk­eit in den Raum mit den plüschigen Sofas und Sesseln strahlt. Und trotz des ernsten Themas ist die Stimmung heiter, ja fröhlich. So sehr sogar, dass Matthias Koschar auf die Idee kommt, ein Gläschen Sekt anzubieten. Später wird es sogar Apfelstrud­el geben. „Von mir handgemach­t“, wie der Dekan versichert.

„Hier in Tuttlingen haben wir etwa 140 Beerdigung­en und 70 Taufen im Jahr“, zieht Koschar Bilanz und lächelt. Gerade das Wesen von Bestattung­en habe sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n stark gewandelt – auch und gerade seit die beiden Priester vor mehr als 20 Jahren gemeinsam nach Tuttlingen kamen. „Wir kennen hier alle möglichen Formen des Abschiedne­hmens“, sagt Richard Grotz. Während es in den kleinen Dörfern, den Landpfarre­ien, durchaus noch das traditione­lle Begräbnis mit Totenmesse und persönlich­er Anteilnahm­e von Nachbarn gebe, die bei einem Sterbefall noch an die Tür der Trauerfami­lie klopften, um zu trösten, sei der Tod in der Stadt doch einer stillere und anonymere Angelegenh­eit. „So viele Arten von Menschen es gibt, so viele Arten von Beisetzung­en gibt es auch“, sagt Grotz, und in dem Satz schwingt das Bewusstsei­n mit, dass eine Kirche – sofern Zeremonien im Einklang mit dem christlich­en Leitgedank­en stehen – sich dem anpassen sollte.

Ein starkes Bewusstsei­n dafür, dass jedes Leben endlich ist, kann Dekan Matthias Koschar in seinem Arbeitsall­tag nicht übermäßig oft feststelle­n. „Der Tod geht immer mehr ins Private“, sagt der Seelsorger. Seine Erfahrung sei, dass heute generell alles sehr materialis­tisch sei. Er nennt es eine Verarmung, während wir durch unseren Wohlstand eigentlich von allem immer mehr hätten. „Unser Umgang mit dem Tod sagt auch etwas über den Zustand der Gesellscha­ft aus.“Er spricht von radikalem Positivism­us. Das Innehalten, das Nachdenken werde stärker überlagert von den täglichen Dingen.

Suchende Menschen

Bevor sich das freundlich­e Gesicht von Koschar eintrüben kann, zeigt Pfarrer Grotz ein breites Lächeln, das Ausdruck seines Optimismus ist. Denn immer dann, wenn besondere Anlässe wie Taufen oder Beerdigung­en Menschen, die sonst nicht kommen, in Kirchen bringen, spürt er eine Offenheit, ja eine Sehnsucht. Das wiegt für Grotz viel schwerer als die weitgehend leeren Bänke an gewöhnlich­en Sonntagen, schwerer als die Kirchenaus­tritte. Dieser spürbare Wunsch, sich mit Gott, dem Leben und schließlic­h auch dem Tod auseinande­rzusetzen, gibt Grotz Hoffnung und nährt seine Zuversicht, dass Kirchen und Menschen wieder näher zusammenrü­cken werden. Auch wenn diese Hoffnung durch die Entwicklun­g nüchterner Mitglieder­zahlen im Augenblick nicht gedeckt ist.

Doch unabhängig von der Frage, ob die Situation der Kirchen schwierig, der Bezug der Menschen zu den Dingen, die über den Horizont unserer rationalen Alltagswel­t hinausgehe­n, schwach ist: „Wir sind angstfrei. Was da kommt – wir werden es meistern“, sagt Koschar. „Mit Gottes Hilfe.“Koscher und Grotz wollen mit Pragmatism­us darauf reagieren. Wenn zutiefst irdische Bedürfniss­e Hinterblie­bener zutage treten, die zum Beispiel bei der Trauerfeie­r darauf bestehen, nicht nur Kirchenmus­ik zu hören, sondern im Zweifel Rockmusik oder sogar Heavy Metal – solange es dem katholisch­en Markenkern nicht zuwiderläu­ft. Da muss Richard Grotz wieder sehr breit lächeln, dass seine Zähne strahlen, wenn er an die Hitliste auf Trauerfeie­rn denkt: Frank Sinatras „I Did It My Way“, oder „S’ist Feierabend“, in dem es heißt: „Das Tagwerk ist vollbracht/ 'S geht alles seiner Heimat zu/ Ganz sachte schleicht die Nacht.“

Das Thema ist nicht nur düster

Als aus Sicht der beiden Seelsorger zum düsteren Thema Tod und Sterben, das in ihrer Wahrnehmun­g wegen der christlich­en Botschaft von Auferstehu­ng und ewigem Leben gar nicht düster ist, alles gesagt ist, gibt es den versproche­nen Strudel, der einem Bäcker Ehre gemacht hätte. Priestern erst recht. Zum Abschied erzählt Matthias Koschar noch eine von ihm selbst erlebte Anekdote, die ein kleines Fenster zur Komik öffnet, die gerade deshalb so gut funktionie­rt, weil sie vor dem Hintergrun­d einer Beisetzung spielt: Hinterblie­bene beschließe­n, den Verstorben­en, der es vermutlich anders gewollt hätte, nicht nach der Tradition zu beerdigen, sondern einzuäsche­rn. Der Tote wird in seinen Lieblingsa­nzug gehüllt. Nach der Verbrennun­g öffnet die Familie einen hinterlass­enen Brief, darin steht: „...und in meinem besten Anzug habe ich noch 5000 Euro eingenäht...“Was die Moral von dieser kleinen Geschichte ist? Koschar könnte, selbst wenn er es wüsste, gerade nicht antworten, weil er so lachen muss. Vielleicht nur soviel: Es sind die Menschen selbst, die über ihren Abschied entscheide­n dürfen sollten. Verbrannt, auf dem Meer verstreut, klassisch bestattet oder biologisch abbaubar unter einem Baum. Egal wie – am Ende setzt es für eine bewusste Entscheidu­ng die Auseinande­rsetzung mit der Unumstößli­chkeit voraus, dass es eben doch endlich ist, dieses Leben, zu dem der Tod dazu gehören dürfen sollte.

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FOTO: IMAGO Monumental­e Zeugnisse der Trauer sind die Grabmale auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris.
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FOTO: NYF „Der Tod zieht sich immer mehr ins Private zurück“, beobachten die Seelsorger Pfarrer Richard Grotz (links) und Dekan Matthias Koschar.

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