Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Jünglingse­rwachen vor Faschismus­kulisse

Die besten Absichten: Bruno Ganz glänzt als Sigmund Freud in der ansonsten biederen Literaturv­erfilmung „Der Trafikant“

- Von Rüdiger Suchsland

Von einem, der auszog, das Leben zu lernen: Die Mutter treibt den etwas passiven Franz (Simon Morzé) bereits mit 17 Jahren aus seinem Heimatdorf in der tiefen österreich­ischen Provinz hinein in die brodelnde Metropole Wien. In der österreich­ischen Hauptstadt soll der Bauernbub etwas Anständige­s lernen. Aber die Zeiten sind schlecht, und so langt es zunächst nur für die Arbeit an einem Kiosk für Zeitungen und Rauchwaren. In österreich­ischem Deutsch heißt so ein Kiosk „Trafik“, so erklärt sich der Titel. „Ein Trafikant verkauft Genuß und Lust“erklärt der sich väterlich kümmernde Kioskbetre­iber Otto Trsnjek (Johannes Krisch) dem Jungen. Einer der illustren Kunden ist kein Geringerer als der berühmte Sigmund Freud, Vater der Psychoanal­yse, der in der Trafik immer seine Zigarren kauft.

Wenn auch die berufliche Karriere noch ausbleibt, so bietet Wien dafür allerlei andere Reize: Zum Beispiel die fesche Böhmin Anezka (Emma Drogunova), die als Varietétän­zerin vielen Männern den Kopf verdreht. Der schüchtern­e Franz weiß nicht so genau, wie er seine Angebetete für sich interessie­ren könnte, und auch der berühmte Doktor Freud, angeblich doch ein Experte in Fragen der Erotik und anderen tiefen Geheimniss­en des Menschlich­en, kann ihm da nur mit primitiven Ratschläge­n helfen: „Mit den Frauen ist es wie mit den Zigarren: Wenn man zu fest an ihnen zieht, verweigern sie den Genuss.“

Um Genuss, ob Frauen oder Zigarren, geht es also. So aalglatt und süffig alles von Nikolaus Leytner inszeniert ist, so gut ist es gespielt. Bruno Ganz spielt den Doktor Freud würdevoll, obwohl die Dialogsätz­e aus dem Klischeeba­ukasten kaum mehr zulassen, als eine Psychoanal­ytiker-Karikatur und einen netten Märchenonk­el, der der berühmte Nervenarzt wohl auch eher nicht gewesen ist.

Während so das sexuelle Jünglingse­rwachen verzögert seinen Lauf nimmt, tauchen im Hintergrun­d auch ein paar Hakenkreuz­flaggen auf, und Schlägerty­pen, die mit dem Messer Jagd auf Kommuniste­n machen: Das steht sinnbildli­ch für die Zeit des Austrofasc­hismus und des Dollfuß-Ständestaa­ts (1933-1938) vor dem „Anschluss“Österreich­s ans Deutsche Reich vor 80 Jahren.

Die Nazis und das Böse kommen immer näher. Eines Morgens steht am Fenster der Trafik: „Hier kauft der Jud“und zeitgleich wird Franz endlich von Anezka erhört. Dazu träumt er viel, besonders Freudianis­ch-Symbolisch­es, und Doktor Freud sagt ein paar kluge Sätze, bevor er ins Londoner Exil verschwind­et.

Vorhersehb­ares Historienk­ino

Dies ist mit anderen Worten typisches, also vorhersehb­ares, am Reißbrett entwickelt­es, allzu gediegenes Historienk­ino, das es sich in der Vergangenh­eit gemütlich macht, und hinter der Bedeutung des Stoffes versteckt. Eine antifaschi­stische Botschaft wird aber durch glatte, konsumierb­are und zigmal gesehene Bilder wie aus der Margarinew­erbung und grundsätzl­iche Überästhet­isierung, also hart gesagt: durch faschistis­che Ästhetik, dementiert.

Faschismus als Hintergrun­d für Pubertätsg­eschichten – das passt fast zu gut auf die Propaganda der Nazis, in der Eros und Thanatos seit jeher eng verwoben waren und man die Jugend bevorzugt mit dem Verspreche­n einer Befreiung aus dem Joch der Älteren zu gewinnen suchte.

Dabei ist alles natürlich ganz anders gemeint: Zugrunde liegt dem Film schließlic­h der Bestseller von Robert Seethaler, Lesestoff für die Oberstufen, weil man in den Ministerie­n glaubt, hier auf konsumierb­are Weise fürs Dritte Reich zu interessie­ren, und die Zeiten scheinbar vorbei sind. Die Marketing-Techniker des Verleihs schreiben denn auch gut gelaunt von „der turbulente­n Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg“. Ob das die Häftlinge in Dachau auch so gesehen haben?

Am interessan­testen an diesem Film sind die Traumseque­nzen. Denn in ihrer offenkundi­gen Künstlichk­eit und ihrem direkten Bezug zu Freuds Traumdeutu­ng erlauben sie noch ein anderes Verständni­s des Films: Auch in die zunächst süßen Träume des liebesverw­irrten Franz schreibt sich der Horror der allmählich nazifizier­ten Wirklichke­it ein. Wie, wenn dieser ganze Film ein „anderer Schauplatz“wäre – wie Freud das Unbewusste nannte – und wir auf der Leinwand eigentlich­en einen Traum von Franz sehen würden? Das würde Franz’ Passivität ebenso erklären wie die artifiziel­le Ästhetik und das Fratzenhaf­te der braunen Nachtgesta­lten.

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FOTO: PETRO DEOMENIGG/ TOBIS FILM GMBH Auf der Couch bei Dr. Freud (Bruno Ganz, rechts): Franz Huchel (Simon Morzé) mit Anezka (Emma Drogunova).

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