Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Ex-Krankenpfleger gesteht 100 Patientenmorde
Mann soll aus Geltungssucht gehandelt haben
OLDENBURG (dpa) - Der bereits zu einer lebenslangen Haft verurteilte Ex-Krankenpfleger Niels Högel hat in einem neuen Prozess um den Mord an 100 Patienten ein Geständnis abgelegt. Am ersten Prozesstag räumte er vor dem Landgericht Oldenburg Vorwürfe ein, ohne dass die Landgerichtskammer konkret auf einzelne Fälle einging. Die allgemein gestellte Frage von Richter Sebastian Bührmann, ob die 100 Vorwürfe vom Missbrauch an Patienten bis zur Todesfolge größtenteils zuträfen, beantwortete Högel mit „Ja“.
Opfer zwischen 34 und 96 Jahre alt
Der bereits wegen anderer Fälle im Jahr 2015 zu lebenslanger Haft verurteilte 41-Jährige soll von 2000 bis 2005 an zwei Kliniken in Delmenhorst und Oldenburg in Niedersachsen Patienten im Alter von 34 bis 96 Jahren mit Medikamenten zu Tode gespritzt haben. Die Taten seien aus niedrigen Beweggründen und heimtückisch begangen worden, sagte Oberstaatsanwältin Daniela Schiereck-Bohlmann.
Högel sagte am Dienstag knapp drei Stunden aus. Selbst als er in Oldenburg fürchten musste, dass man ihm womöglich „auf die Schliche“gekommen war, dachte er nach eigenen Worten nicht daran, von seinen Taten abzulassen. In einem Punkt bohrten der Richter, Anwälte der Nebenkläger und ein Gutachter hartnäckig nach: Warum hat Högel bei dem Prozess 2015 vehement bestritten, dass er am Klinikum Oldenburg überhaupt „manipuliert“, sprich Menschen umgebracht hatte? Er habe es verdrängt und sich geschämt, sagte Högel. Der Vorsitzende Richter Bührmann zweifelt an der Glaubwürdigkeit des Angeklagten – auch aus persönlicher Erfahrung. Er hat auch die anderen Prozesse gegen Högel geleitet und sagt deshalb gleich am Anfang deutlich: „Sie kennen mich. Ich kenne Sie.“Es klingt ein wenig wie eine Warnung.
Die Staatsanwältin ging in ihrer eineinhalbstündigen Anklageverlesung auf jeden der 100 Fälle ein. Über Jahre soll Högel Patienten an den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst verschiedene Medikamente in tödlicher Dosis gespritzt haben. Danach versuchte er, seine Opfer wiederzubeleben. Er habe dies getan, um Kollegen seine Reanimationskünste zu beweisen und um seine Langeweile zu bekämpfen, sagt Schiereck-Bohlmann. Ähnlich äußert sich Högel vor Gericht: „Es war Imponiergehabe.“Er habe das Lob und die Anerkennung genossen, wenn es ihm gelang, Patienten zurück ins Leben zu holen.
„Wir haben vier Jahre für diesen Prozess gekämpft und erwarten, dass Högel wegen weiterer 100 Morde verurteilt wird“, sagte Christian Marbach, der Sprecher der Angehörigen. Sein Großvater war von Högel getötet worden. „Das Ziel ist, dass Högel so lange wie möglich in Haft bleibt.“Experten für Opferhilfe betreuen die Angehörigen im Gericht. In einem Raum, der abgeschirmt von der Öffentlichkeit ist, können sie sich zurückziehen. Doch die meisten bleiben standhaft, folgen versteinert der Aussage des Angeklagten. Nur wenige Meter trennen sie von dem Mann, der ihnen so viel Leid zugefügt haben könnte.