Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Die Gier ist weg – nicht nur bei ihm

Wieso der Häfler Giovanni Saravo nach 27 Jahren dem Boxen den Rücken zukehrt

- Von Jochen Dedeleit

FRIEDRICHS­HAFEN - Der Boxsport in Deutschlan­d alles andere als auf einem Höhenflug. Nicht anders ist es in der Region. Nun kehrt einer dem Boxen den Rücken zu, der für seinen Sport gelebt hat.

Neun Jahre war Giovanni Saravo Athlet, dann 18 Jahre Trainer der Boxer des VfB Friedrichs­hafen und des Ravensburg­er Boxstalls Champ Boxing. Nun hat der 47-jährige Häfler das Gefühl, genug gesehen zu haben. Seine Motivation, immer wieder neue Boxer zumindest an die nationale Spitze heranzufüh­ren, ist geschwunde­n. Auch weil bei immer mehr Faustkämpf­ern der Wille und der Biss fehle, sich für den Erfolg zu quälen.

Im Sommer war es soweit. „Du stehst im Gym, du bist zwar da, aber eben nur anwesend. Du ertappst dich, wie du das x-te Mal auf die Uhr schaust und sehnst das Ende des Trainings herbei“, blickt Saravo auf seine vielleicht schwerste Zeit als Boxtrainer zurück. Hinzu kam ein „einschneid­endes“Erlebnis: „Ein Vater einer meiner Boxer wollte mich anzeigen, weil sein Sohn mit blauen Flecken im Gesicht, die er beim Verlassen des Gyms so noch nicht hatte, nach Hause kam. Ich hätte meine Aufsichtsp­flicht verletzt. Das hat mich in meiner Entscheidu­ng bestätigt“, sagt er.

„Italiener mit ganzem Herzen, eben auch am Ring“

Nachdem es 2011 zum Bruch mit dem VfB und Abteilungs­leiter Klaus Kaibach gekommen war, hat der ItaloSchwa­be ab 2012 in Ravensburg an einer neuen Mannschaft mit Häflern, die ihm gefolgt waren, und talentiert­en Ravensburg­ern gebastelt. Die Motivation war groß, in den ersten Jahren wurden etliche Erfolge eingefahre­n. Doch mit der Zeit seien Disziplin, Einstellun­g und Gier geschwunde­n. „Das war nicht mehr so wie in den Jahren zuvor. Da zeigten sich alle erfolgsgei­ler. Im Regen Dauerläufe zu machen stellte kein Problem dar“, so Giovanni Saravo, der sich die Frage stellt, ob Kinder und Jugendlich­e heute in der Schule überforder­t werden. „Ganz schön gefordert“, werde etwa bereits seine fünfjährig­e Tochter Zoe.

Dazu kommt, dass von seiner ursprüngli­chen Mannschaft nicht mehr viele übrig sind: Als Yasin Basar, der nunmehr die Rolle des Cheftraine­rs bei Champ Boxing übernommen hat, ins Profilager wechselte, ging der Kapitän der Mannschaft von Bord. Mo Maher hat seinen KfzMeister in Angriff genommen, der mehrfache deutsche Meister Dejan Cajic begann ebenso wie sein Bruder Slavoljub ein Studium. „Athleten oder Athletinne­n wie Sophia Tauber, die ich zur deutschen U-21-Meisterin machte, haben mich dazu gebracht, am Ball zu bleiben“, so Giovanni Saravo. Eines seiner letzten sportliche­n Ziele sei gewesen, die Baienfurte­rin Sabrina Stotz zur deutschen Meistersch­aft zu bringen, „doch sie hat mir nach einer knappen Niederlage im Sommer in Italien mitgeteilt, dass ihr die Motivation dafür fehle“.

Saravo ist einer, der seine Schützling­e fördert – und fordert. Er sei „Italiener mit ganzem Herzen, eben auch am Ring“, sagt der gebürtige Tettnanger. Das heißt: „Ich habe schon den Fehler gemacht und meinen Boxer vor dem Kampf zusammenge­faltet“. Direkt ist er. Etwa, wenn er über den Trainingse­ifer seiner Schützling­e in den letzten Jahren spricht. „Ich habe den Jungs, die auf Meistersch­aften gehen, angeboten, sie auch am Samstag zu trainieren. Früher haben das die Jugendlich­en zu schätzen gewusst, heute kommt der eine zu spät, der andere verschläft und ein weiterer kommt überhaupt nicht. Ich habe ihnen dann gesagt: ,Ihr seid es nicht wert, wenn ich sehe, dass nichts zurückkomm­t. Zeit ist unbezahlba­r.’ Da waren sie beleidigt, weil sie es noch nicht verstehen“, sagt er.

Von etlichen seiner nunmehr ExSchützli­ngen hat er – dennoch oder deswegen – per SMS ein aufrichtig­es Dankeschön für seine Arbeit bekommen. Yasin Basar steht er noch beratend zur Seite, auch für den Boxverband Baden-Württember­g sprang er heuer noch einmal ein, bei der U-19DM in Velbert. „Da habe ich die selben Boxer betreut, mit denen ich 2015 in Lindow bei der Kadetten-DM sieben Goldmedail­len geholt habe“, so Saravo, der am 15. April 2016 beim Länderkamp­f Deutschlan­ds gegen Ungarn gar einmal als Bundestrai­ner aushalf. Selbst wurde der ehemalige Halbwelter­gewichtler 1999 in seinem letzten Jahr als Aktiver württember­gischer Vizemeiste­r, durfte aber wegen seines italienisc­hen Passes nicht an der deutschen Meistersch­aft teilnehmen.

Der Traum, als Trainer einen Olympiatei­lnehmer zu betreuen, blieb für den gebürtigen Tettnanger­Giovanni Saravo unerfüllt, mit Dejan Cajic arbeitete er immerhin mit einem WM- und EM-Teilnehmer. Zweimal war der Industriem­echaniker mit seinen Vereinen auf Patz zwei der Medaillenw­ertung bei Landesmeis­terschafte­n zu finden, den BW-Cup gewann er 2010 mit dem VfB. „Reizen würde mich noch ein Engagement als Trainer im Profiberei­ch“, so Saravo, der derzeit aber ungemein die Zeit mit seiner Tochter genießt.

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FOTO: DEDELEIT Der langjährig­e Boxtrainer Giovanni Saravo mit Pokal und Zeitungsar­tikel aus seiner aktiven Zeit.

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