Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Auf dem Skateboard in Richtung Senat
Beto O’Rourke ist zum Hoffnungsträger der US-Demokraten geworden – ausgerechnet im erzrepublikanischen Texas
WASHINGTON - Ob er auf dem Skateboard auf die Bühne rollt? Im Wahlkampf redet Beto O’Rourke viel davon. Da ist so ein Brett viel mehr als ein Brett, es ist ein Symbol für eigene Wege. Auf Skateboards, geht Beto O’Rourkes Erzählung, habe er gelernt, sich nichts und niemandem unterzuordnen, aus eingefahrenen Gleisen auszubrechen, Dinge selbst anzupacken. O’Rourke, der Rebell. Im Geiste noch immer Teenager. Jedenfalls lässt er sich nicht lange bitten und rollt tatsächlich auf dem Skateboard auf die Theaterbühne im Del Mar College in Corpus Christi. Ein Schlaks in Jeans und hellblauem Hemd, ein dreifacher Vater mit jungenhaftem Charme, gefeiert wie ein Rockstar.
Es wäre der erste Sieg seit 1988
Am 6. November will der 46-Jährige O’Rourke die Senatswahl in Texas gewinnen. Gelänge ihm das, wäre es ein echter Coup, denn 1988 haben die Texaner zum letzten Mal einen Demokraten in den US-Senat delegiert. Ted Cruz, der republikanische Amtsinhaber, war beim Kandidatenrennen vor zwei Jahren Donald Trumps schärfster innerparteilicher Rivale gewesen. Ein wortstarker Redner, geschult in der Kunst der schnellen Debatte. Stramm konservativ, weiß er das Gros evangelikaler Christen auf seiner Seite, eine Macht, gerade in Texas. Cruz ist und bleibt Favorit. O’Rourke, so hat es John Cornyn zugespitzt, der zweite Senator des Lone Star State, befinde sich auf einem politischen Selbstmordtrip.
O’Rourke schreckt das nicht ab. Bis zum Ende des Wahlrennens will er sämtliche 254 Countys des Bundesstaats Texas mindestens einmal besucht haben. Er fahre auch in Landstriche, die so rot glühten, dass man das Glühen aus dem Weltall sehen könne, scherzt er. Rot ist die Farbe der Republikaner, und wenn ihm die Profis der Politikberatungsbranche entgegnen, dass er mit Ausflügen in tief konservatives Milieu nur seine Zeit verschwende, erwidert er ungerührt: „Aus diesem Grund habe ich keinen politischen Berater in meinem Team.“Texas ist ein Riesenstaat: Man braucht beispielsweise elf Stunden, um von O’Rourkes Heimatstadt El Paso nach Houston am Golf von Mexiko zu gelangen. Man kann also ungefähr ermessen, wie viele Stunden der Mann im Auto verbringt. Trotzdem will O’Rourke immer wieder vermitteln: Wahlkampf kann Spaß machen, auch im aufgeheizten politischen Klima der USA.
Am Del Mar College ist das wohl auch so. Im Theatersaal findet sich kein freier Sitzplatz mehr, lange bevor der Kandidat auf die Bühne, nun ja, rollt. „Beto for Senate“steht auf Plakaten. Kein Familienname, nur Beto. O’Rourke heißt eigentlich Robert, seine Familie hat irische Wurzeln, doch sein spanisch eingefärbter Spitzname klingt interessanter. Kritiker werfen ihm vor, er wolle sich damit bei den Latinos anbiedern, die wohl irgendwann die Bevölkerungsmehrheit in Texas bilden werden.
„Wir richten uns gegen niemanden, und ganz bestimmt nicht gegen eine andere Partei“, ruft der schlaksige Mann. „Jeder von uns ist hier, weil er für etwas ist. Für die Vereinigten Staaten von Amerika.“Wenn er redet, grundsätzlich frei, rudert O’Rourke mit den Armen. Bei dieser Wahl gehe es nicht um Nuancen, sondern um Grundsätzliches. Um den Charakter der Nation. Wer man sein wolle, darum gehe es. Doch wohl sicher kein Land, das Kinder an der Grenze von ihren Eltern trenne, wie es auf Anordnung Trumps geschehen sei. O’Rourke sagt: „Was an der Grenze passiert, das sind nicht wir, das kann nicht unser Land sein.“
In seinem Programm fordert O’Rourke strengere Waffenkontrollen, ohne privaten Waffenbesitz anzutasten, er will den staatlich garantierten Mindestlohn auf 15 Dollar pro Stunde anheben, Marihuana legalisieren, bezahlbare Krankenversicherungen für alle.
Anstand als Markenkern
Edward Costley, ein Restaurantbesitzer, 52 Jahre alt, hat schon für alle möglichen Bewerber gestimmt, für Republikaner, Demokraten, Libertäre. Die Konservativen, sagt er, hätten früher für Ideen gestanden, für freies Business, freien Handel. Bei Trumps Konservativen indes werde jeder Ideenstreit schnell persönlich, mit verbalen Schlägen unter die Gürtellinie, deshalb baue er nun auf O’Rourke. Auf Anstand. Auf den Gegenentwurf. Die Studentin Zoe Perez, 18, erkennt Parallelen zu Barack Obama. „Die klare Sprache, das Authentische. Bei beiden hast du nicht das Gefühl, dass sie dir etwas vormachen. Und beide reden von der Hoffnung, nicht von der Angst.“
Anders als Obama stammt O’Rourke aus geordneten, zudem aus gut situierten Verhältnissen. Er konnte sich ausprobieren, ohne ans Geldverdienen denken zu müssen. Während er an der prestigeträchtigen Columbia University in New York studierte, hat der Sohn eines Richters in einer Punkband namens Foss Bass gespielt. Nach der Uni machte er mal dies, mal jenes, eine Zeit lang transportierte er teure Gemälde für ein auf Kunst spezialisiertes Fuhrunternehmen. Zurückgekehrt nach El Paso, gründete er eine IT-Firma. 2005 wählten ihn die Bürger seiner Stadt in die Gemeindeverwaltung, sieben Jahre darauf ins amerikanische Repräsentantenhaus. Dort profilierte er sich als einer, der auch mit Vertretern der Gegenpartei kann.
O’Rourke hofft, übrigens ähnlich wie einst Trump, auf die Stimmen von Menschen, die schon lange kein Wahllokal mehr betreten haben. Vor allem hofft er auf die Jüngeren, die bei den Kongresswahlen der vergangenen Jahre größtenteils zu Hause geblieben waren. Selbst wenn er gegen Cruz verliert, dürfte er als potenzieller Präsidentschaftskandidat des Jahres 2020 im Gespräch bleiben.
Harlingen, eine Kleinstadt im Tal des Rio Grande, gut zwei Autostunden von Corpus Christi entfernt. Bevor er auf die Bühne eines Kongresszentrums eilt, beantwortet O’Rourke noch schnell ein paar Journalistenfragen. Warum er glaube, ausgerechnet in Texas gewinnen zu können? „Ich glaube jedenfalls nicht“, sagt er, „dass sich die Leute über ihr letztes Votum definieren lassen“. Texas, schiebt er hinterher, sei bereit, etwas wirklich Großes zu tun.