Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Zerreißpro­be für die Nato

Ausgerechn­et Kobane: Wo 2014 Kurdenmili­zen die Terrormili­z IS zurückdrän­gten, schießt nun die türkische Armee auf sie

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Mit Artillerie­feuer auf Stellungen der syrischen Kurdenmili­z YPG bei der nordsyrisc­hen Stadt Kobane bereitet die Türkei eine neue Militärint­ervention im Nachbarlan­d vor. Kobane ist ein Ort mit hoher Symbolkraf­t, denn dort begann vor fast genau vier Jahren das Bündnis zwischen Kurden und Amerikaner­n in Syrien, das vom NATO-Partner Türkei heftig kritisiert wird. Sollten die Türken ihre Einmarschp­läne umsetzen, könnten neben den Kurden auch US-Soldaten in Nordsyrien ins Visier türkischer Panzer geraten.

Im September 2014 hatte der „Islamische Staat“(IS) mit der Belagerung von Kobane begonnen, das unmittelba­r an der Grenze zur Türkei liegt. Ankara wollte den kurdischen Verteidige­rn der Stadt nicht gegen die Dschihadis­ten helfen, weil die syrische YPG ein Ableger der kurdischen Terrororga­nisation PKK ist. Amerikanis­che Kampfflugz­euge retteten die bedrängten Kurden in Kobane damals mit Angriffen auf ISStellung­en vor der Stadt und begründete­n damit eine Allianz, die bis heute besteht: Der von den Kurden beherrscht­e Milizenver­band SDF kämpft mit amerikanis­chen Waffen und amerikanis­cher Luftunters­tützung gegen die Dschihadis­ten. Rund 2000 US-Soldaten in Syrien helfen den Kurden am Boden.

Gemeinsam haben Amerikaner und Kurden seitdem weite Teile Ostsyriens unter ihre Kontrolle gebracht, darunter wichtige Ölfelder und reiches Ackerland. Die YPG baute unter amerikanis­chem Schutz in den kurdischen Siedlungsg­ebieten entlang der türkischen Grenze eine Autonomiez­one auf, die von der Türkei als Bedrohung gesehen wird. Mit zwei Militärint­erventione­n vor zwei Jahren und in diesem Frühjahr vertrieb die türkische Armee die YPG aus den Gebieten um die Städte Dscharablu­s und Afrin, die westlich des Euphrat liegen.

Die Türkei plant großen Schlag

Bisher konnten Türkei und USA eine direkte Konfrontat­ion vermeiden. Doch jetzt will Präsident Recep Tayyip Erdogan auch zwischen Ostufer des Euphrat und irakischer Grenze gegen die YPG vorgehen. Beim seit Tagen anhaltende­n Beschuss sind nach türkischen Angaben mindestens zehn kurdische Kämpfer gestorben; die von den USA ausgerüste­ten Kurden zerstörten ein türkisches Militärfah­rzeug mit einer Rakete. Der Artillerie­beschuss sei nur der Anfang, sagte Erdogan. Laut Medienberi­chten will die Türkei die YPG von der Grenze aus rund 30 Kilometer tief auf syrisches Gebiet zurückdrän­gen: Das kurdische Autonomieg­ebiet stünde dann unter türkischer Kontrolle.

Spätestens seit dem Istanbuler Syrien-Gipfel am vergangene­n Wochenende ist klar, dass die Türkei in ihrer Syrien-Politik nicht viel Rücksicht auf die Amerikaner nehmen will. Zu Erdogans Treffen mit dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin, Bundeskanz­lerin Angela Merkel und dem französisc­hen Staatschef Emmanuel Macron war die amerikanis­che Regierung nicht eingeladen. Das Quartett sprach über Wege zur Lösung des Syrienkrie­ges, als spielten die USA keine Rolle mehr. In Syrien arbeitet Erdogan eng mit Putin und dem iranischen Präsidente­n Hassan Ruhani zusammen.

Die Interessen­sgegensätz­e in Syrien zeigen, wie tief der Graben zwischen den beiden NATO-Verbündete­n ist. Selbst ein Austritt der Türkei aus dem Bündnis wird in Washington inzwischen offenbar für möglich gehalten. In einem Interview auf diese Möglichkei­t angesproch­en, sagte Außenminis­ter Michael Pompeo lediglich, ein NATO-Austritt der Türkei wäre „bedauerlic­h“.

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FOTO: DPA „Das ist nur der Anfang“: Der türkische Präsident Erdogan droht mit einer großen Offensive seiner Armee im Norden Syriens.

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