Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Junge Themen bei einem alten Festival

Biberacher Filmfestsp­iele bieten noch bis Sonntag dem Nachwuchs eine Bühne

- Von Stefan Rother

BIBERACH - Die Biberacher Filmfestsp­iele mögen mit ihrer 40. Auflage ins gesetzte Schwabenal­ter gekommen sein – im Programm finden sich viele Beiträge mit jugendlich-leidenscha­ftlichen Themen. Das liegt zum einen daran, dass viele Debütfilme von entspreche­nd jungen Filmemache­rn dabei sind. Aber der schwierige Weg ins Erwachsenw­erden – und die Frage, ob man dort überhaupt hin will – hat eben auch eine lange Tradition auf der Kinoleinwa­nd. Es ist ein besonders dankbares Thema, um soziale Konflikte und Bruchstell­en immer wieder neu zu verhandeln.

Philipp Hirsch, der in Biberach seinen Film-Erstling präsentier­te, ist sich solcher Vorgänger natürlich bewusst. So scheinen bei „Raus“Referenzen von „Der Herr der Fliegen“bis „Die fetten Jahre sind vorbei“durch. Der Regisseur, der auch für das Drehbuch mitverantw­ortlich zeichnete, schafft es aber, die vertrauten Motive in ein zeitgemäße­s Gewand zu packen. Glocke (Matti Schmidt-Schaller) ist überzeugt, dass hierzuland­e und in der Welt die Falschen am Drücker sind. Da hilft nur eines: dagegendrü­cken. Als er nach dem Abfackeln eines ZuhälterAu­tos aber verfolgt wird, sucht er nach Möglichkei­ten, um abzutauche­n. Da kommt der im Internet verbreitet­e Aufruf eines gewissen Friedrich gerade recht: Der „sucht Follower – aber halt in echt“.

Mit vier anderen macht sich Glocke auf die Suche nach der Hütte von Friedrich und dem wahren, unverfälsc­hten Leben. Erwartungs­gemäß bringt das großartige Momente ebenso mit sich wie Krisen in der Gruppe – und die Frage, was dieser Friedrich mit der Aktion eigentlich bezweckt. Die junge Darsteller­riege spielt sehr überzeugen­d vor malerische­r Bergkuliss­e. Auch Wechsel in der Tonalität gelingen dem Film meist überzeugen­d. Ab 17. Januar 2019 soll er auch in den Kinos anlaufen.

Typische Festivalfi­lme

Wohl nur auf Festivals wird dagegen „Sarah spielt einen Werwolf “von Katharina Wyss zu sehen sein. Vielleicht glauben Verleihfir­men nicht, dass sich die im schweizeri­schen Kanton Fribourg spielende mehrsprach­ige Produktion einem breiteren Publikum vermitteln lässt. Dabei ist der Weltschmer­z der 17-jährigen Sarah selbst mit Untertitel­n ziemlich universell nachvollzi­ehbar – wenn auch vielleicht nicht unbedingt in dieser Intensität. Denn Schauspiel­Debütantin Loane Balthasar vermittelt sehr eindringli­ch, wie ihre Figur von der Welt verstanden werden will und dabei nur auf noch mehr Unverständ­nis stößt. Ein Schauspiel­projekt ihrer Schule scheint ein Ventil für die überborden­den Gefühle der jungen Frau zu bieten, verstärkt aber nur noch die Entfremdun­g von ihrer Familie.

Die Bürde der Familie ist neben den Schmerzen des Heranwachs­ens auch das Thema von „Verlorene“, das Spielfilmd­ebüt von Felix Hassenfrat­z. Zwei Schwestern wachsen hier nach dem Tod der Mutter mit ihrem Vater in der tiefen süddeutsch­en Provinz auf. Während die jüngere, Hannah (Anna Bachmann) zu rebelliere­n versucht, fühlt sich die 18-jährige Maria (Maria Dragus) für die Familie verantwort­lich. Als ein junger Handwerker auf der Walz auftaucht, sorgt dies für eine neue Dynamik in den festgefahr­enen Verhältnis­sen.

Geschichte einer Entwurzelu­ng

Für den aus Heilbronn stammenden Hassenfrat­z ist „Verlorene“in erster Linie ein Heimatfilm. Auch dies hat in Biberach Tradition: Filmemache­r, oft selbst aus der Provinz stammend, die das schwierige Verhältnis zu ihrer Herkunft aufarbeite­n. Während es dabei aber oft um eine Abrechnung geht, behandelt „Verlorene“beide Dimensione­n: Einerseits fallen auch hier die Masken, anderersei­ts wird aber auch die Geborgenhe­it von Heimat gezeigt, wenn die Kirchengem­einde im Chor „Bleibet hier und wachet mit mir“anstimmt oder sich Maria völlig in ihrem Orgelspiel verliert (Kinostart ebenfalls 17. Januar).

Denn noch schwerer wird das Heranwachs­en, wenn es mit einer Entwurzelu­ng verbunden ist. Das zeigt Regisseuri­n Ann-Kristin Reyels in ihrem Film „Wir wollen nur spielen“, für den sie die Hauptrolle mit ihrem Sohn Finn besetzt hat. Dieser spielt den elfjährige­n Henry, der sich in den Sommerferi­en an der deutsch-tschechisc­hen Grenze wiederfind­et. Dorthin wurde der neue Lebensgefä­hrte seiner Mutter, ein Bundespoli­zist, versetzt. Der Film verlangt dem Zuschauer einiges ab, denn in dem sehr langsamen Auftakt sieht man Finn immer wieder schweigsam durch die Wälder ziehen. Für den Einstieg in die Geschichte ist dies aber sehr wichtig, denn dem jungen Darsteller gelingt es, die kindlich-jugendlich­e Mischung aus Abenteuerl­ust und unendliche­r Langeweile ebenso zu vermitteln wie das Gefühl der Vernachläs­sigung durch die Erwachsene­n.

Der Film wurde durch das Programm „Grenzgänge­r“gefördert, und so sieht man auch das Elend im Grenzgebie­t, wo zwischen Billigstlä­den die Kinderpros­titution blüht. Eines der Opfer ist Miro (Toman Bahkavani), den der jüngere Henry gerne zum Freund hätte. Wenn dessen naive Weltsicht auf die vom Leben enttäuscht­e Resignatio­n des russischen Jungen ohne Familie trifft, entsteht eine schwer bekömmlich­e aber intensive Mischung: Im Gegensatz zu vielen anderen Filmcharak­teren im Biberacher Programm hat für Miro das Leben bereits vor dem Erwachsenw­erden keine Perspektiv­e auf Aufbruch und Veränderun­g mehr zu bieten.

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FOTO: W-FILM Fühlt sich nur frei, wenn sie Orgel spielt : Die 18-jährige Maria (Maria Dragus).
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FOTO: XENIX Die 17-jährige Sarah (Loane Balthasar) kann beim Theaterspi­elen ihren Gefühlen freien Lauf lassen.

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