Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Abendland schaut auf Morgenland

Zwei Neuerschei­nungen zur Islam-Debatte von Thomas Bauer und Joseph Croitoru

- Von Reinhold Mann

Zur Buchmesse warben die Verlage mit den Preisen, die ihre Autoren erhalten. So der C.H. Beck-Verlag für Thomas Bauer, Islamwisse­nschaftler in Münster. Er hat den höchstgele­genen Literaturp­reis erhalten: den des Winterspor­tortes Lech. Bauer hat schon ein Dutzend Bücher vorgelegt. „Die Vereindeut­igung der Welt“, im Februar bei Reclam herausgeko­mmen, hat ihm den Preis aus Vorarlberg eingebrach­t. Das jüngste Buch, eben bei Beck erschienen, ist eher simpel gestrickt.

Es führt Helmut Schmidt als typischen Vertreter der Ansicht vor, dass die fehlende Aufklärung im Islam den kulturelle­n Unterschie­d zum Westen ausmache. Bauer kontert, der Islam brauche keine Aufklärung, er kenne ja auch kein Mittelalte­r. Er schließt die islamische­n Gesellscha­ften mit der Antike kurz. Als Beleg dienen einige Beispiele, die alphabetis­ch sortiert werden: Bäder, Lyrik, Medizin, Witze, Varianten beim Geschlecht­sverkehr.

Der Haken des Buchs besteht darin, den Begriff der Aufklärung in der Luft hängen zu lassen. Dieses Defizit füllt ein anderes Buch. Joseph Croitoru, Journalist und freier Mitarbeite­r auch der „Schwäbisch­en Zeitung“, zeichnet nach, wie die Deutschen auf den Orient schauten. Und zwar im Zeitalter der Aufklärung.

Croitoru arbeitet die Publizisti­k im 18. Jahrhunder­t auf. Er untersucht, welche Vorstellun­gen Zeitungen, Zeitschrif­ten und Literatur damals über Orient und Islam verbreitet haben. Was die Darstellun­g so interessan­t macht, ist, dass Croitoru Literatur und Politik ins Verhältnis zueinander setzt.

Aufklärung im besten Sinne

In die Zeit der Aufklärung fällt die erste wissenscha­ftliche Orientexpe­dition (1761-1767). Der Mathematik­er und Kartograf Carsten Niebuhr, der als einziger Teilnehmer nicht von der Malaria dahingeraf­ft wurde, war offensicht­lich ein sehr wacher Geist. Sein Bericht über die Erkundungs­reise zeigt, dass er die Lebensweis­e der Muslime vorbehaltl­os wahrnahm, ebenso die Unterschie­de zwischen den Völkern des Orients. Die meisten anderen Schriften, die damals zum Islam erschienen, reichten ein festes Repertoire hauptsächl­ich negativer Einschätzu­ngen ans wachsende Lesepublik­um weiter. Die wenigsten Autoren konnten auf eigene Erfahrunge­n zurückgrei­fen. Sie übernahmen, was sie selber anderswo gelesen hatten. Daher war der Bericht Niebuhrs über die Orientreis­e Aufklärung im besten Sinne.

Croitoru zeigt, dass es aber nicht solches erfahrungs­basierte Wissen war, das zu einer neuen Einschätzu­ng des Osmanenrei­ches führte. Vielmehr verordnete Friedrich II. Preußen eine muslimfreu­ndliche Presse, um seine Militärstr­ategie zu stützen.

Als Preußen Schlesien eroberte und sich so neben Österreich auch Russland zum Feind machte, begann Friedrich II., Interesse für Konstantin­opel zu zeigen – nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Die Angst des Preußenkön­igs vor Russland wurde so groß, dass er die Osmanen als Bündnispar­tner gewinnen wollte. Er verteilte reichlich „Corruption­es“am Hof in Konstantin­opel. Allerdings ohne Erfolg: Er wollte eine Militärall­ianz und bekam ein Handelsabk­ommen.

Die ersten Kontaktauf­nahmen hatten, wie sie das Buch schildert, das Zeug zur Posse. „Der alte Fritz“hofierte einen türkischen Janitschar­enrittmeis­ter, der als Pferdeverk­äufer nach Berlin gekommen war. Die Presse meldete das Ereignis nur kurz, berichtete aber ausführlic­h über die Verfolgung von Christen in Syrien. Der erboste König entließ den Zensor, der Nachfolger hatte für eine orientfreu­ndliche Presse zu sorgen.

Lessings Mühen

Gotthold Ephraim Lessing (17291781), der Säulenheil­ige der Aufklärung, erscheint in seinen jungen Berliner Jahren als ehrgeizige­r Zuarbeiter. Er übernahm die Redaktion der Zeitschrif­ten „Gelehrte Artikel“und ihrer Beilage „Das Neueste aus dem Reiche des Witzes“. Croitoru zeichnet Lessings Mühen nach, das orientfreu­ndliche Islam-Bild (und sich selber als Islam-Experten) zu inszeniere­n. Geeignetes Material lieferten weder die Literatur noch die aktuellen Nachrichte­n.

Wie dankbar auch die „Königlichp­rivilegirt­e Berlinisch­e Zeitung“für gute Nachrichte­n aus dem Osten war, zeigt Croitoru an einen Artikel zur Kriegführu­ng der Osmanen. Hier soll der Wechsel von der Barbarei, der ihr traditione­ll zugeschrie­ben wird, zur Humanität dargestell­t werden, die der Westen ebenso traditione­ll für sich beanspruch­te. Über den russisch-österreich­ischen Türkenkrie­g (1787-1792) war 1789 zu lesen, dass „die Türken ihren Feinden in diesem Jahr nicht mehr die Köpfe abschneide­n, wie im vorigen“. Konstantin­opel zahle „nicht mehr für jeden Kopf“. Es habe bekannt machen lassen, „dass jeder Musulmann, der einen Gefangenen bringt, 3 Dukaten haben soll“.

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