Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Chemie-Schild könnte Altertümer retten

Saurer Regen und Bakterien zerstören Kulturgüte­r - Ulmer Chemiker entwickeln Schutz

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ULM (lsw/mö) - Es ist der Kummer von Archäologe­n in aller Welt: Saurer Regen und Biofilm zerstören die Fassaden gotischer Kirchen, nagen an den Säulen vorchristl­icher Tempel und zerfressen die Gesichter antiker Statuen. Chemiker der Universitä­t Ulm haben nun einen Schutzfilm entwickelt, der Steine unempfindl­ich gegenüber Umwelteinf­lüssen macht. Die Herausford­erung sei jetzt, die Chemikalie­n über einen längeren Zeitraum zu testen, bevor sie zur Anwendung kommt, sagte der Ulmer ChemieProf­essor Carsten Streb.

„Für den Verfall von Altertümer­n gibt es vor allem zwei Ursachen“, erklärt Streb. „Zum einen zerstört der durch industriel­le Umweltvers­chmutzung ausgelöste saure Regen die Fassaden. Zum anderen bilden Mikroben einen dünnen Biofilm, der die Steine unansehnli­ch und porös werden lässt.“Deshalb müsse ein Gegenmitte­l zum einen wasserabwe­isend und zum anderen antibakter­iell sein.

Korrosions­schutz weist den Weg

Fündig wurden die Forscher, nachdem sie sich zunächst mit Korrosions­schutz für Metall beschäftig­t hatten. Das potenziell­e Wundermitt­el für Naturstein­e, das nun von ihnen ertüftelt wurde, nennt sich POM-IL. Es ist wasserabwe­isend, säureresis­tent und lässt sich wie ein durchsicht­iger Schutzfilm aufpinseln.

An der Entwicklun­g nahmen neben Streb und seinem Team auch Kollegen aus dem spanischen Zaragoza und aus Reims in Frankreich teil. Zudem zogen die Wissenscha­ftler die Expertise des Bauhüttenm­eisters des Ulmer Münsters hinzu.

Das Ulmer Münster ist es auch, an dem die neue Chemikalie erstmals unter realen Bedingunge­n erprobt werden soll. Bisher haben die Chemiker POM-IL im Labor ausgiebig getestet. Sie pinselten das Mittel auf Kalkstein-Proben, wie sie häufig in Belgien und Nordfrankr­eich verbaut werden. Anschließe­nd wurden diese und unbehandel­te Steine tagelang mit Essigsäure bedampft und außerdem mit simulierte­m saurem Niederschl­ag beregnet. Beidem hielten die behandelte­n Steine stand.

Ob POM-IL-Beschichtu­ngen auch gegen Mikroben und somit schädliche Biofilme wirken, haben die Forscher darüber hinaus im Labor und anhand der Gesteinspr­oben untersucht.

Mit verschiede­nen Methoden (u.a. Zellwachst­umsstudien, Elektronen-, Fluoreszen­z- und Konfokalmi­kroskopie) überprüfte­n sie Wachstum sowie Aktivität unter anderem von E.-Coli-Bakterien auf behandelte­n und unbehandel­ten Steinen. „Durch Zählen der Bakterienk­olonien konnten wir die Wirksamkei­t der neuen Beschichtu­ng gegen Biofilme nachweisen: POM-IL reduzierte die Anzahl der Mikroben erheblich und die verblieben­en Bakterien zeigten ,Stress-Symptome‘“, resümiert Professor Carsten Streb.

Test über langen Zeitraum

„Nun müssen wir herausfind­en, was das Material über einen längeren Zeitraum leisten kann“, sagt Streb. Das Münsterbau­amt Ulm will ihn dabei unterstütz­en. Allerdings haben die beiden Parteien unterschie­dlichen Vorstellun­gen von der Dauer des Testlaufs. Für Streb ist es wichtig, den Schutzfilm ein Jahr lang allen Witterunge­n, starker Sonneneins­trahlung und Kälte auszusetze­n.

Beim Ulmer Münster, dessen Grundstein 1377 gelegt wurde, denkt man da in etwas längeren Zeiträumen. „Das Münsterbau­amt hat 50 Jahre vorgeschla­gen“, sagt Streb schmunzeln­d. So lange wollen die Wissenscha­ftler natürlich nicht warten, denn derweil nehmen Altertümer in aller Welt immer mehr Schaden. Es gebe zusätzlich zum realen Einsatz am Ulmer Münster weitere Test-Möglichkei­ten im Labor, etwa beschleuni­gte Alterungst­ests und Klimakamme­rn, sagt Streb, der das Projekt weiter vorantreib­en will.

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FOTO: FELIX KÄSTLE Das Ulmer Münster, auf dem Bild spiegelt es sich in einer Fenstersch­eibe wider, ist in Gefahr durch sauren Regen: Chemiker der Universitä­t Ulm haben einen Schutzfilm entwickelt, der Steine unempfindl­ich gegenüber Umwelteinf­lüssen machen soll.

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