Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Kirchen sollten nicht nur tun, was ankommt

Prägnante Predigt zum Reformatio­nstag

- Heinz Gerstlauer

ULM (köd) - Nach dem großen Jubiläum 2017 war die Aufmerksam­keit zum 501. Geburtstag der Reformatio­n in diesem Jahr geringer. Doch bei der Feier im Ulmer Münster stand mit Heinz Gerstlauer ein Mann auf der Kanzel, dessen Wort Gewicht hat. Gerstlauer, sozial engagierte­r ehemaliger Vorstandsv­orsitzende­r der Evangelisc­hen Gesellscha­ft Stuttgart, ist bekannt für seine prägnanten Predigten. Zudem gab es auch in diesem Jahr etwas zu feiern: die Gründung der Diakoniest­iftung in Ulm vor zehn Jahren.

Gerstlauer beschäftig­te sich mit der Frage, wie begnadete Menschen aussehen. Erkennt man sie am Erfolg? Den begnadeten Lehrer an seinen Schülern, den begnadeten Prediger an vollen Kirchen? In ein solches Schema würde das Kind mit Downsyndro­m nicht passen, das Liebe verteilen kann wie kaum ein anderes. Genauso wenig wie der Künstler, dessen Leben von Krisen geschüttel­t ist oder der schlechte Schüler, der ein echter Freund ist.

Gerstlauer warnte vor einer Tendenz, Gott auf die Seite der Tüchtigen zu stellen. Die Versuchung treffe auch Kirchen und Kirchengem­einderäte, wenn darüber diskutiert wird: „Wie können wir bei den Leuten besser ankommen?“Denn dann werde für den Preis des Wohlfühlen­s in Gruppen und Zirkeln nur gemacht, was ankommt – eine Ansprache am Bauzaun für die Gegner des Bahnprojek­ts Stuttgart 21 oder ein Gottesdien­st im Grünen für Wanderfreu­nde. Das 21. Jahrhunder­t sei kein Zeitalter der Ungläubigk­eit, sondern eines der Leichtgläu­bigkeit, sagte Gerstlauer. Auf der Strecke bleibe, was sich nicht gut verkaufen lässt: zum Beispiel, dass einer des anderen Last tragen solle. Und dass zur Kirche die Diakonie gehört – was etwa hunderttau­send jährliche Anrufe bei der Telefonsee­lsorge zeigen. Die Versuchung, nach Mehrheiten zu schielen und Gott dorthin zu manövriere­n, wo man ihn haben will, mache profillos, warnte Gerstlauer.

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FOTO: DAGMAR HUB

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