Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Kostbare Seelennahr­ung

Ist das traditions­reiche Gebäck aus Oberschwab­en und dem Allgäu in Gefahr? – Seit diesem Jahr ist die Seele aufgenomme­n in die „Arche des Geschmacks“

- Von Petra Lawrenz

Was eine gute Seele ist? Was für eine Frage. Das weiß doch jedes Kind, jedenfalls in Oberschwab­en und im Allgäu. Eine gute Seele ist innen weich und duftig, außen knusprig und mit Salz und Kümmel bestreut. Eine gute Seele kann morgens Leben retten, wie weiland zu Schulzeite­n in der großen Pause, wenn der Hunger groß und der Unterricht endlos war. Und sie kann abends innerlich herrlich wärmen als „heiße Seele“, mit Rauchfleis­ch, Käse und Gürkchen kurz im Ofen aufgebacke­n – unverzicht­bare Spezialitä­t so mancher Kneipe.

Kurzum: Ein Leben ohne Seele ist möglich, aber sinnlos. Über ihre ideale Beschaffen­heit hat wohl jeder seine eigenen Vorstellun­gen, ob sie unbedingt hell sein müsse beispielsw­eise oder lieber dunkel gebacken. Das sind Glaubensfr­agen, die jeder für sich beantworte­n musste und durfte. Dass es irgendwann nur noch Einheitswa­re zu kaufen geben könnte, oder – noch schlimmer –, dass die

Seele in ihrer traditione­llen Form ganz aus den Regalen verschwind­en könnte – das ging und geht vermutlich vielen Seelenfreu­nden über ihre Vorstellun­gskraft. Genau dies befürchtet aber die Organisati­on Slow Food, die sich dem Erhalt traditions­reicher Nahrungsmi­ttel verschrieb­en hat. Sie ist deutschlan­dweit aktiv und hat die „Arche des Geschmacks“gegründet, eine Art Rote Liste der gefährdete­n Speisen und Getränke. Darin aufgenomme­n wurde in diesem Jahr auch die „Allgäuer-Oberschwäb­ische Seele in traditione­ller Herstellun­g“, wo sie sich als 67. Passagier in illustrer geschmackl­icher Gesellscha­ft befindet mit der Alblinse, dem Luikenapfe­l, dem schwäbisch-hällischen Landschwei­n oder den Münchner Brotzeitse­mmeln.

Es war gar nicht so leicht, sagt Joachim Rehm von der Slow-Food-Sektion Oberschwab­en, denn der Aufnahmean­trag musste detaillier­t begründet sein, und es dauerte ein bis zwei Jahre, bis die Jury der Seele gnädig war. Eine der Hauptfrage­n, die sich dabei stellte, war: Ist sie tatsächlic­h gefährdet? Das ist zu befürchten. Die Slow-Food-Experten schreiben dazu: „Während Seelen inzwischen bundesweit auch von Großbäcker­n industriel­l produziert und vertrieben werden, ist ihre traditione­lle Herstellun­gsweise bedroht. Sie wird derzeit nur noch von wenigen handwerkli­chen Bäckern praktizier­t, die im Württember­gischen Allgäu und in Oberschwab­en ansässig sind.“Joachim Rehm aus Berg bei Ravensburg erklärt dazu: „Seelenmach­en ist einfach wahnsinnig viel Arbeit“. Und vor allem: Handarbeit, die in Zeiten billiger Massenprod­uktion keine Konjunktur hat.

Ein Besuch bei Bäckermeis­ter Manfred Müller in Schmalegg bei Ravensburg zeigt zunächst eines: An der Nachfrage mangelt es nicht, die Seelen gehen weg wie die berühmten warmen Semmeln – beziehungs­weise Wecken. Viel Zeit stecke schon drin in den Seelen, das betont auch Müller, und das sei auch nötig. Was naturgemäß auf den Preis schlägt: „Eine original schwäbisch­e Seele für 40 Cent ist eine Utopie“, stellt er klar. Mindestens das Doppelte kostet sie derzeit in den Läden in der Region.

Das Entscheide­nde für den Handwerksb­äcker ist der lange gereifte Teig. Die Zutaten sind schnell aufgezählt: Mehl, Wasser, Hefe und Salz. Schon am Abend vorher wird ein Vorteig angesetzt, der zehn bis zwölf Stunden gehen muss, damit sich die Aromen entwickeln können. Dann kommen noch mehr Mehl und Salz dazu, es entsteht ein sehr weicher Hauptteig – „so ähnlich wie ein Spätzletei­g“. Der wird dann noch mal einige Stunden liegen gelassen, damit er sich stabilisie­ren kann. Und wenn er dann da liegt, ein riesiger, weicher, genetzter, also befeuchtet­er Teigfladen, dann gilt es zügig mit beiden Händen und viel Fingerspit­zengefühl die typisch länglichen Teigstücke „auszubrech­en“und auf den sehr heißen Ofenboden zu bringen, wo sie zehn bis zwölf Minuten backen. Dafür wird in der streng traditione­llen Herstellun­gsart ein langer hölzerner Schieber benutzt, der sogenannte Seelenschi­eßer. „Eine echte Seele muss geschossen werden“, betont Rehm. Laut Slow Food gibt es in den Landkreise­n Ravensburg und Biberach derzeit noch etwa 15 Handwerksb­äcker, die so arbeiten.

Müller ist da nicht ganz so dogmatisch. Er hat inzwischen umgestellt und arbeitet mit einer Backfolie, auf der etwa 40 Seelen auf einmal auf die heiße Ofenplatte geschoben werden. „Das macht es für den Bäcker ein bisschen bequemer“, sagt Müller, der seit 44 Jahren in der Backstube steht. Dem guten Geschmack tue das keinen Abbruch. Was nicht geht, schon rein technisch nicht, das ist eine gänzlich maschinell­e Herstellun­g. Dafür sei der Teig einfach zu weich, erklärt der 59-Jährige. An der Seele erkenne man eben auch die Handschrif­t des Bäckers: „Jeder macht sie ein bisschen anders.“Auch die Mehlmischu­ng darf im Übrigen variieren, manche Betriebe nehmen mehr Dinkelmehl, andere mehr Weizenmehl. Zusatzstof­fe oder Backmittel? Bäckermeis­ter Müller schüttelt den Kopf.

Anspruchsv­oll ist sie also schon, die echte Seele, und auch ein wenig sensibel. Früher hieß es, sie solle das Elf-Uhr-Läuten nicht hören, das in der katholisch­en Tradition als Allerseele­nläuten gilt und an die Toten erinnert. Ein Brauch, dem das Gebäck auch seinen Namen verdankt (siehe Kasten).

Das heißt: Sie sollte frisch gegessen werden. Und das sollte jeder tun, der verhindern will, dass das Totenglöck­chen für die echte Seele läutet. Es gibt sicher größere Opfer.

’’ Gescheite Seelen – das kann die Industrie nicht bieten.

Manfred Müller, Bäckermeis­ter aus Ravensburg-Schmalegg

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FOTOS: LA Ein lange gereifter Teig, von Hand geformt und mit Kümmel und Salz bestreut: Das macht die echte Seele aus. In dem Kleinbrot stecken viel Zeit und Handwerksk­unst, die nicht billig zu haben sind.
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Aus dem Sortiment einer oberschwäb­ischen Bäckerei sind Seelen nicht wegzudenke­n, wie hier etwa bei Bäckermeis­ter Müller in Schmalegg.

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