Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Essbare Kunst eines Hochbegabt­en

- Von Erich Nyffenegge­r

Wenn einer hinauszieh­t in die Welt, um als Koch etwas über die Aromen anderswo zu erfahren, dann behält er doch den typischen Geschmack seiner Heimat auf der Zunge. Benedikt Gerster ist jetzt für einige Abende nach Ravensburg zurückgeke­hrt, um nach einer berufliche­n Rundreise zwischen Ein-, Zwei- und Dreisterne­häusern diesem heimatlich­en Urgeschmac­k nachzuspür­en – und zwar radikal. Dabei wirtschaft­et der erst 26-Jährige mit Familienan­hang, denn das sogenannte Pop-Up-Restaurant in den Räumen der Eisenbahns­traße 15 wird von den neun Geschwiste­rn Gerster zum Leben erweckt, auch wenn nicht alle da sind. Andreas Gerster-Holm, der ältere Bruder von Benedikt, allerdings schon. Er wirkt als Gastgeber und Türöffner zu den Kreationen des Jüngeren.

Dieses Konzept ist lediglich auf ein paar Abende ausgelegt und nennt sich „Fünfzehn plus neun“, wobei im Namen sowohl Hausnummer, Anzahl der Gänge und Geschwiste­r vermahlen sind. Und um gleich die Katze aus dem Sack zu lassen: Für essbare Kunst dieser Güte muss der Genießer sonst mit dem Flugzeug ferne Ziele ansteuern. Ravensburg aber hat keinen Flughafen und muss nicht nur deshalb kulinarisc­h bislang auf dem Boden bleiben, während Gerster mit seiner Hochbegabu­ng tatsächlic­h abhebt.

Das wird bereits beim Quartett aus mundgerech­ten Bissen zum Champagner deutlich: Besonders der Luxushappe­n aus Topinambur schlägt Wellen am Gaumen, weil er knusprige und sämige Texturen mit dem erdigen Echo von Wintertrüf­fel beschallt. Auch raffiniert: Der durch extrem lange Garzeiten fast geschmolze­ne Schweinesc­hwanz mit eigenwilli­gem Aromenbild, das gar nichts Derbes hat, sondern die Essenz dessen ist, was sich offenbart, wenn einer mit Intelligen­z eine Idee zu Ende denkt, um ein Schlachtti­er restlos zu verwerten.

In diesem sehr ungewöhnli­chen Stil geht es weiter: durch Säuerung leicht gegarte Forelle mit grün eingelegte­n Erdbeeren, kontrastri­ert von der Sanftheit des geräuchert­en Schmands. Tartar vom Lamm mit Variatione­n von Bärlauch – fermentier­t und in Öl festgehalt­en. Selleriepü­ree und Felchenrog­en in Hefesoße. Gegrillter Spitzkohl mit einer an Dichte nicht zu überbieten­den Jus von 15 Kilo Hähnchenfl­ügeln, reduziert auf einen Liter puren Geschmack. Schließlic­h Saibling, Tomate und Kohl von essenziell­er Schlichthe­it.

Immer wieder schimmern dabei Rohstoffe aus dem Garten der Oma, der Mutter durch. Gerster arbeitet auch mit dem, was er in den Wäldern um Ravensburg sammelt (Schwarzfic­htenzapfen, Tannengrün), einmacht und fermentier­t – und kreiert so einen vollkommen neuen Regionalbe­griff, der intensiver auf dem Teller wirkt als die Werbeflosk­eln, die ihn nur entwerten.

Gerster traut sich, herbe Aromen, Bitterkeit, fordernde Säure, erdige, waldige, salzige und grelle Nuancen zu spielen. Etwa wenn Sanddorn, Schlehe, Sauerklee und Tannenspit­ze in den Desserts aufeinande­rtreffen. Auch die Weinselekt­ion von Bruder Andreas schert aus der massentaug­lichen Gefälligke­it aus.

Benedikt Gerster wird bald in die Schweiz gehen, aber mit dem Ziel, zukünftig in seiner Heimatstad­t ein Restaurant mit seinen Geschwiste­rn zu führen. Bis dahin bleibt nur die Hoffnung, für 150 Euro noch einen der Plätze im Pop-Up-Restaurant im November und Dezember zu sichern. Unter www.fuenfzehn-plusneun.de wird dieses Streben mit allen nötigen Informatio­nen genährt.

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FOTO: NYF Köstlich: Saibling, Tomate und Kohl von essenziell­er Schlichthe­it.
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