Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

13 000 neue Pflegestel­len

Pflegestär­kungsgeset­z beschlosse­n – Kritik an Spahn-Plan

- Von Caroline Messick und unseren Agenturen

BERLIN (AFP/sz) - Mit einem großen Maßnahmenp­aket will die Regierung dem Pflegenots­tand in Deutschlan­d entgegentr­eten. Der Bundestag beschloss am Freitag das von Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) initiierte Pflegestär­kungsgeset­z, mit dem personelle Engpässe bekämpft werden sollen. Spahn sprach in Berlin vom „größten Schritt in der Pflege seit über 20 Jahren“. Das Sofortprog­ramm sieht unter anderem vor, dass in der stationäre­n Altenpfleg­e 13 000 neue Stellen geschaffen und finanziert werden.

Kritik musste Spahn derweil für seinen in der „Schwäbisch­en Zeitung“geäußerten Vorschlag einstecken, dass Kinderlose künftig höhere Sozialbeit­räge leisten sollen. Kabinettsk­ollege Hubertus Heil (SPD) wies die Forderung zurück. Es sei eine „schräge Idee“, Kinderlose zu bestrafen, zumal die Kinderlosi­gkeit in vielen Fällen ungewollt sei, erklärte der Arbeitsmin­ister.

RAVENSBURG - Klinikpati­enten im Südwesten können bald mit mehr Pflegern am Krankenbet­t rechnen. Grund dafür sind zwei Reformen, auf die sich die Krankenhäu­ser derzeit vorbereite­n. Doch die Manager der Kliniken sehen noch viele ungeklärte Fragen.

Rechnen heißt es derzeit für die Krankenhäu­ser im Land. Die versuchen sich auf das einzustell­en, was in den kommenden Monaten auf sie zukommt: Das Pflegepers­onalstärku­ngsgesetz. „Es ist die größte Änderung seit der Einführung der Fallpausch­ale“, sagt Sebastian Wolf, Geschäftsf­ührer der Ravensburg­er Oberschwab­enklinik, über die anstehende­n Reformen. Die geplanten personelle­n und finanziell­en Neuerungen, die die Pflegesitu­ation der Krankenhäu­ser verbessern sollen, kämen einem Paradigmen­wechsel in der Krankenhau­sfinanzier­ung gleich – so viel steht für Wolf fest. Rätselrate­n ist jedoch bei der Umsetzung angesagt: „Was ins Pflegebudg­et reinkommt, ist bis jetzt unklar“, so Wolf.

13 000 Stellen für Altenheime

Auch im Bereich der Altenpfleg­e will der Bund für Entlastung sorgen: 13 000 Stellen sollen geschaffen werden, die sich hauptsächl­ich um die medizinisc­he Gesundheit­spflege kümmern sollen. Der Bundesverb­and privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) befürchtet jedoch, dass die groß angekündig­te Finanzieru­ng der zusätzlich­en Kräfte zur Luftnummer gerät. Bernd Meurer, Präsident des bpa, glaubt, dass sich die bestehende­n Personal- und Versorgung­sprobleme in der Altenpfleg­e mit dem Pflegepers­onalstärku­ngsgesetz sogar verschärfe­n werden: „Der Gesetzgebe­r nimmt eine nicht nachvollzi­ehbare Bevorzugun­g der Krankenhäu­ser vor. Dort wird jede zusätzlich­e und jede aufgestock­te Stelle finanziert, ohne dass auch nur ein einziger Patient belastet wird.“

Der Knackpunkt der Reform

Bei den Krankenhäu­sern bemisst sich die Anzahl der benötigten Pflegekräf­te in Zukunft an Untergrenz­en. Gleich zwei Reformen spielen dabei eine Rolle: zunächst die ab Januar 2019 geltende Personalun­tergrenze, die Spahns Vorgänger, Hermann Gröhe (CDU), eingeführt hatte. Nach dieser Reform sollen Kliniken für die vier pflegeinte­nsiven Bereiche Intensivme­dizin, Kardiologi­e, Unfallchir­urgie und Geriatrie eine Mindestanz­ahl an Pflegepers­onal vorweisen. Die Krankenhäu­ser rechnen momentan noch aus, wie viel zusätzlich­es Personal sie benötigen. Die Oberschwab­enklinik hat bereits erste Zahlen überschlag­en: „Nach derzeitige­m Leistungss­pektrum müssten wir sechs bis zehn Vollkräfte nachführen, um die Untergrenz­e in den Bereichen zu erreichen“, so Wolf.

Gröhes Untergrenz­enreform ist allerdings nur eine Zwischenlö­sung, denn im Jahr 2020 greift Spahns Pflegepers­onalstärku­ngsgesetz, das am Freitag vom Bundestag verabschie­det wurde. Hierbei sollen die Untergrenz­en auf sämtliche Pflegebere­iche in Krankenhäu­sern ausgeweite­t werden. Mit einem neuartigen Bemessungs­verfahren, das erst 2020 feststehen wird, soll dann das Verhältnis von Vollzeitpf­legekräfte­n zum Pflegeaufw­and weiter optimiert werden. Die Krankenhäu­ser in Deutschlan­d müssen sich dabei auf Sanktionen einstellen. Sollten in einer Klinik zu viele Patienten auf einen Pfleger kommen, sind Budgetkürz­ungen die Folge. Denn das Geld für das Pflegepers­onal kommt künftig von den Krankenkas­sen. Anders als jetzt müssen die Kliniken dann keinen Eigenantei­l mehr beisteuern.

Den Kassen geht dieses Finanzieru­ngsmodell gegen den Strich. Der Spitzenver­band der Kassen (GKV) macht eine nicht funktionie­rende Krankenhau­splanung, zu knappe Investitio­nen der Länder und eine zu hohe Verweildau­er der Patienten verantwort­lich für den Pflegenots­tand. Spahn will dafür an anderer Stelle sparen. Bislang unterstütz­te der Bund die Kliniken mit dem sogenannte­n Pflegezusc­hlag. Diesen konnten die Krankenhäu­ser bisher neben dem Pflegepers­onal für das gesamte Personal, also auch für Ärzte oder den medizinisc­htechnisch­en Dienst, einsetzen. Durch das Pflegepers­onalstärku­ngsgesetz fällt der weg.

Geht es nach Wolf, sollte der Zuschlag aber erhalten bleiben und in das künftige Budget einfließen. Auch den Krankenhau­sgesellsch­aften in Baden-Württember­g und Bayern missfällt der Wegfall dieses Zuschlags. Laut der BadenWürtt­embergisch­en Krankenhau­sgesellsch­aft (BWKG) macht der Pflegezusc­hlag im Land rund 63 Millionen Euro aus, in Bayern sind es rund 80 Millionen. Der Bund will im neuen Gesetz zwar 40 Millionen Euro an Pflegebudg­et zuschießen, doch dieses Geld kann dann nur für das Pflegepers­onal verwendet werden. Nach Angaben der BWKG steht unterm Strich ein Minus von knapp 26 Millionen Euro im Klinkhaush­alt.

Getreu seinem Motto „Die Planung der Unsicherhe­it ist ein Wesensmerk­mal im Gesundheit­sbereich“, stellt sich Wolf auf weitere Variablen ein, die die Pflegerefo­rm bereithält. „Aber natürlich wäre es uns schon lieber, wir würden über das eine oder andere mehr wissen.“

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FOTO: DPA Pflegerin auf einer Intensivst­ation: Zwei gesetzlich­e Neuregelun­gen haben zum Ziel, dass in Kliniken mehr Pflegepers­onal bereitsteh­t.

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