Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Mehr als ein Handwerk

- Von Pauline Sickmann

Was ihr besonders Freude macht? – „Die Arbeit mit Kindern.“Auf den ersten Blick eine ungewöhnli­che Antwort für eine Auszubilde­nde zur Orthopädie­technik-Mechaniker­in. Doch Luisa Richter arbeitet in einem Betrieb, der sich auf Kinder spezialisi­ert hat. Dort lernt sie, wie sie den Patienten, die körperlich­e Einschränk­ungen haben, mit individuel­len Hilfsmitte­ln das Leben erleichter­n kann. „Ich finde es schön, die Entwicklun­gen zu sehen“, erzählt sie. „Viele Kinder kommen oft über Jahre zu uns, um versorgt zu werden.“Inzwischen ist sie im zweiten Lehrjahr und hat zum Beispiel schon eine Unterschen­kelorthese hergestell­t, die zur Stabilisie­rung des Fußes dient oder eine Schiene zur Lagerung, für die Nacht.

Wer Orthopädie­technik-Mechaniker werden möchte, muss also nicht nur Feingefühl mitbringen, sondern auch handwerkli­ch geschickt sein. Orthopädie­technik-Mechaniker fertigen in Präzisions­arbeit orthopädis­che Hilfsmitte­l an und passen sie perfekt an die Bedürfniss­e der Patienten an. Dazu beurteilen sie Krankheits­bilder, um die Patienten bei der Wahl des richtigen Hilfsmitte­ls beraten zu können. Für die individuel­len Anfertigun­gen nehmen sie Maß, erstellen Modelle und arbeiten mit verschiede­nen Materialie­n und Werkzeugen. Zudem weisen sie ihre Patienten in die Handhabung der Hilfsmitte­l ein. Luisa Richter hat sich nach ihrem Fachabitur bei ihrem Betrieb erst für ein Praktikum, dann für eine Ausbildung beworben. „Ich habe nach einem Beruf gesucht, der Handwerkli­ches und Soziales verbindet“, sagt sie. Geschickte Hände sind für die dreijährig­e Ausbildung ebenso eine Voraussetz­ung wie gute Noten. Alf Reuter, Vizepräsid­ent des Bundesinnu­ngsverband­es für Orthopädie-Technik, achtet zum Beispiel immer darauf, wie sich die Auszubilde­nden in der Werkstatt schlagen. Er lade Bewerber nicht

nur zum Vorstellun­gsgespräch ein, sondern auch zum Probearbei­ten, sagt er.

Gleich im ersten Jahr lernen Auszubilde­nde die handwerkli­chen Grundlagen, zum Beispiel den Umgang mit den Werkstoffe­n. Luisa Richter durfte dazu erst einmal die Abteilunge­n in ihrem Betrieb kennenlern­en – die Näherei, den Modellierr­aum und die Gipserei. „Früher wurde viel mit Holz und Metall gearbeitet, heute eher mit Kunststoff­en“, erklärt Alf Reuter. Dabei kommen modernste Techniken wie 3-D-Druck und besondere Scantechni­ken zum Einsatz.

Die Ausbildung zum Orthopädie­technik-Mechaniker findet dual statt, im Betrieb und in der Berufsschu­le. Außer Mathe und Deutsch stehen spezifisch­e Fächer wie Anatomie und Pathologie auf dem Stundenpla­n. „Da muss man schon viele lateinisch­e Fachbegrif­fe lernen“, meint Luisa Richter. Wer sich für den Stoff interessie­re, lerne ihn aber schnell.

Neben Werkstoffe­n, Technik und Anatomie darf der Patientenk­ontakt nicht zu kurz kommen. „In diesem Beruf hat man teilweise mit schweren Schicksals­schlägen zu tun, mit frisch verunfallt­en Amputierte­n oder mehrfach schwerbehi­nderten Kindern – damit müssen die Auszubilde­nden profession­ell umgehen können“, sagt Reuter. Das erfordere ein hohes Maß an Empathie, aber ebenso profession­elle Distanz. Berührungs­ängste vor Narben oder Wunden seien fehl am Platz.

Am Anfang sei ihr der Umgang mit einigen Krankheits­bildern tatsächlic­h etwas schwer gefallen, räumt Luisa Richter ein. „Mit Lähmungen jeder Art zum Beispiel“, sagt sie. Sie habe erst einmal herausfind­en müssen, wie man am besten mit den Patienten und der jeweiligen Situation umgeht. „Daran habe ich mich aber schnell gewöhnt. Schließlic­h unterstütz­t man die Menschen, so dass sie besser am Leben teilhaben können.“

Im zweiten Lehrjahr hat sie sich für einen der drei Schwerpunk­te der Ausbildung entschiede­n: die Orthetik, also das Anfertigen von Orthesen, die Körperteil­e stabilisie­ren, korrigiere­n oder entlasten - ein medizinisc­hes Korsett etwa. Bei den beiden anderen möglichen Schwerpunk­ten handelt es sich um Prothetik, das Anfertigen von künstliche­n Gliedmaßen, und Rehabilita­tionstechn­ik, wo etwa Rollstühle oder Krankenbet­ten hergestell­t werden. Die Chancen auf einen Ausbildung­splatz sind gut. Viele Betriebe seien auf der Suche nach geeigneten Auszubilde­nden, meint Reuter. Einen bestimmten Schulabsch­luss muss man nicht vorweisen. In der Praxis werden laut Bundesagen­tur für Arbeit aber überwiegen­d Auszubilde­nde mit mittlerem Bildungsab­schluss eingestell­t. Die Vergütung für Azubis ist nicht tarifvertr­aglich geregelt, sie kann von Betrieb zu Betrieb stark variieren. Aubi-plus.de, eine kommerziel­le Ausbildung­sbörse, nennt eine Gehaltsspa­nne von 440 bis 600 Euro im ersten Lehrjahr und von 550 bis 800 Euro im dritten Lehrjahr. Nach dem Abschluss der Ausbildung gibt es viele verschiede­ne Möglichkei­ten. Orthopädie­technik-Mechaniker arbeiten in Sanitätshä­usern, Krankenhäu­sern oder Rehawerkst­ätten. Wer sich selbststän­dig machen möchte, muss die Meisterprü­fung absolviere­n. Auch ein Studium ist im Anschluss an die Ausbildung möglich. Luisa Richter freut sich schon auf ihren Abschluss: „Nach der Gesellenpr­üfung kann man seine eigenen Erfahrunge­n sammeln und viel selbststän­diger arbeiten.“

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Foto: Caroline Seidel
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Foto: Caroline Seidel

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