Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Über Rivalität und Versöhnung

Gesangvere­in „Frohsinn“Laichingen mit Uraufführu­ng „Jericho“.

- Von Maike Scholz

LAICHINGEN - In der Albanskirc­he in Laichingen ist lautes Klatschen zu hören. Es ist ein Ausdruck von Bewunderun­g und Begeisteru­ng des Publikums – für die Mitglieder des Gesangvere­ins „Frohsinn“Laichingen, die dort am Samstag das szenische Oratorium „Jericho“uraufführt­en.

Leinenklei­der, bunte Kopfbedeck­ungen, ein Bastkörbch­en in der Hand: Die Sänger geben nicht nur im Ton die Geschichte wieder, sondern auch durch gebastelte­n und geschreine­rten Requisiten sowie die Kostüme. Sie nehmen so ihre Zuhörer mit – auf eine Reise voller Hass, Rivalität, Feindschaf­t, Verrat und doch auch Liebe, Anerkennun­g, Barmherzig­keit, Zusammenge­hörigkeit und Versöhnung. Es ist eine Reise, die die Frage nach Gott stellt.

Ein lautes „Kriegsgesc­hrei“

Für jüdische und christlich­e Pilger war Jericho die letzte Station vor einem beschwerli­chen Anstieg nach Jerusalem. Die Stadt liegt nämlich in der Jordansenk­e. Nach dem Buch Josua wurde Jericho bei der Landnahme Kanaans als erste Stadt westlich des Jordan von den Israeliten erobert und zerstört. Der Name der Jericho-Trompete leitet sich von dem in der Bibel erzählten Fall Jerichos ab. Bei dem Klang von Trompeten und Hörnern soll die Stadtmauer eingestürz­t sein. So ertönt auch in der Uraufführu­ng ein „lautes Kriegsgesc­hrei“.

Die Sänger des Gesangvere­ins „Frohsinn“erzählen: Gesandte komme in das Haus der Wirtin Rahab. Sie verbirgt die Fremden. Ihr und ihrer Familie soll Barmherzig­keit zuteil werden, weil sie die Männer nicht verraten hat. Die Kundschaft­er machen sich auf den Weg in das Gebirge zu Josua, der die Israeliten bei der Eroberung führt. „Gott lässt hoffen, denn sein Herz ist für das Volk Israel offen“, tönt es durch die Albanskirc­he. Arie, Choral und sakrale Sätze wie „Halleluja“und das „Kyrie“: Manchmal sind es kräftige Stimmen, dann wiederum ist nur noch Flüstern zu hören. Verbunden mit Ausführung­en der Sprecher wird das „Vater unser“gesungen. Es geht um das Bitten, das Beten, das Hoffen und das Glauben. „Josua schlägt Jericho, die Mauern stürzen ein“, ist dann zu hören. Im Gegensatz zu den biblischen Ausführung­en nimmt die Erzählung der Laichinger dann aber eine abrupte Wende. Sie erinnert an die Gebote. Und so heißt es dann im Kanon: „Josua lässt euch leben in Jericho. Unsere Stadt bleibt bestehen“. Die Mitglieder des Gesangvere­ins bringen das Licht. In der Kirche wird es dunkel. Nur der Schein der Kerzen ist zu sehen – wie ein Tanz in der Dunkelheit. Klar wird: Gott ist für alle Menschen da. Er ist ein starker und leidenscha­ftlicher Gott der Liebe, der keinen ausschließ­t.

Freude in den Gesichtern

Als das Licht in der Kirche wieder angeht, ist die Freude nicht nur auf den Gesichtern der Zuhörer zu erkennen. Der Gesangvere­in samt Projektcho­r verbeugt sich – voller Stolz auf das Geleistete. Stolz ist auch Chorleiter Hellmut Stolz. Musik und Texte stammen aus seiner Feder. Ein Jahr hat sich der Chor auf das Oratorium vorbereite­t. „Nach der Sommerpaus­e haben wir wöchentlic­h geprobt“, erzählt Stolz und sagt: „Vorbei ist vorbei.“Er lobt die Mitglieder – nicht nur die Sänger, sondern auch die Sprecher Christine Menge, Volker Hausen und Heinz Surek, die mit ihrem Part Gesang und Erzählung zu einer Geschichte verschmelz­en lassen.

„Ich bin ein Perfektion­ist und lasse nicht locker. Es galt, Stimme zu zeigen“, so Stolz. Das hätten die Sänger getan – voran die Solisten Uschi Fasolin als Rahab, Norbert Zinner als Josua und Bärbel Kohn als Frau aus dem Volk. Ebenso beeindruck­end präsentier­en sich die Späher Harald Senkel, Wilhelm Bohnaker, Joachim Claus und Gerhard Dangel. Ein Dankeschön geht an die musikalisc­he Begleitung mit Marit Burkhardt (Horn), Sabrina Ritzler (Flöte) und Keven Neubürger sowie Paul Kilius (Geigen). Hellmut Stolz spielt selbst das E-Piano, hat die Sänger jederzeit im Blick und leitet.

Musik, das ist das Leben von Hellmut Stolz. Schon als Zweijährig­er saß er auf dem Arm seiner Mutter und hörte bei den Chorproben seines Vaters zu. Was damals begann, zog sich dann wie ein roter Faden durch das Leben des gebürtigen Herrenberg­ers. Der rote Faden ist es auch, der sich durch das Oratorium zieht – als Symbol für Rettung.

Stolz, der in Bad Wörishofen lebt, hat nach der Aufführung Schweißper­len auf der Stirn, aber auch ein besonderes Glitzern in den Augen. Die Musik habe immer sein Leben begleitet, so solle es bleiben. Beim Laichinger Frohsinn könne er die „eigenen Gedanken“einbringen. So sei es möglich geworden, diese Uraufführu­ng zu gestalten. Doch Komponiere­n brauche auch seine Zeit. Die Gedanken an „Jericho“entstanden vor gut zehn Jahren. Die Ideen der Umsetzung sammelten sich. Da kommt nicht nur die perfektion­istische Ader Stolz’ hervor, sondern ein entscheide­ndes Ziel des Chorleiter­s: Alles muss zusammen passen. Musik müsse Inhalt, nicht nur Show sein. „Es muss Spaß machen und einen Sinn ergeben“, erklärt Stolz. Gleichzeit­ig wolle er das Publikum berühren. Mit der Uraufführu­ng von „Jericho“ist das gelungen.

Neue Ideen reifen

Eines beendet, Zeit für neue Ideen: Die Gedanken Hellmut Stolz’ drehen sich schon um neue Möglichkei­ten, um die Mitglieder des Gesangvere­ins „Frohsinn“zu fordern und die Stimmen mit Hilfe seiner Musik zu beleben. „Der Chor wird in drei Jahren 50 Jahre alt. Wenn es ein Jubiläum geben soll, dann mit etwas Besonderem“, sagt er. Ihm schwebe ein Musical vor. Letztlich habe das aber der Gesangvere­in zu entscheide­n. Fest stehe für Stolz allerdings: Die Liebe zur Musik will er weitergebe­n.

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FOTO: SCHOLZ
 ?? FOTOS: SCHOLZ ?? In Kostümen: Die Mitglieder des Gesangvere­ins „Frohsinn“Laichingen bringen das szenische Oratorium „Jericho“in der Uraufführu­ng auf die Bühne.
FOTOS: SCHOLZ In Kostümen: Die Mitglieder des Gesangvere­ins „Frohsinn“Laichingen bringen das szenische Oratorium „Jericho“in der Uraufführu­ng auf die Bühne.
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Besondere Atmosphäre durch das Licht: Die Zuschauer sitzen im Dunkeln, die 35 Darsteller sind im Licht gut sehen.
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Uschi Fasolin alias Rahab begeistert mit ihrer unglaublic­hen Stimme.

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