Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Du meine süße und zarte Blume“

Die Geschichte zweier Liebesbrie­fe aus dem Krieg, die 74 Jahre verscholle­n waren

- Von Axel Pries

LAUPHEIM - Ältere Laupheimer können sich wohl noch an Anton Müller erinnern, der in den fünfziger Jahren mit Zaubervorf­ührungen aufgetrete­n ist und später aktiv viele Laupheimer Jahrgangst­reffen organisier­t hat. Er ist weggezogen und schon 1994 verstorben, aber eine rührende Geschichte aus seinem Leben bewegt derzeit viele Menschen in Deutschlan­d: die seiner im Zweiten Weltkrieg verloren geglaubten Liebesbrie­fe. Sie sind nach 74 Jahren wieder aufgetauch­t und haben nun nicht nur seine Tochter Ursula tief berührt, sondern ziehen medial weite Kreise. „Ich war ergriffen, als ich die Zeilen meines Vaters las. Sie sind so schön geschriebe­n, voller Gefühl“, erzählt die im rheinland-pfälzische­n Nauort lebende Ursula Tyttlik, geborene Müller, zum Beispiel einer Redakteuri­n der Rhein-Zeitung.

Es war ihr in Laupheim lebender Cousin Harald Müller, der die berührende Geschichte ins Rollen gebracht hat. Der 56-Jährige ist an Historie interessie­rt und stöberte auf Ebay nach Artikeln im Zusammenha­ng mit Laupheim. Auf einmal sah er ein Angebot mit dem Titel Kriegsgefa­ngenenpost. Er las den erkennbare­n Namen Anton Müller, las die Adresse Laupheim und dachte: „Das kann nur mein Onkel sein!“

Jener Onkel, der viele Jahre in Rheinland-Pfalz lebte, den die Familie ab und zu in seinem Wohnort bei Remagen besuchte. In Laupheim hatte das Ehepaar Maria und Anton Müller in der Sternstraß­e gewohnt. Sein Bruder Hans betrieb das Malergesch­äft an der Einmündung Kapellenst­raße/Bronner Straße. Harald Müller erkannte den Wert der beiden angebotene­n Briefe für die Familie, insbesonde­re seine Cousine Ursula, die Tochter Antons. Er kaufte sie und sandte sie nach Nauort. „Ich wollte ihr eigentlich einfach eine Freude machen.“Das Auftauchen der Briefe schlägt aber seither wachsende Wellen in ganz Deutschlan­d.

Die Geschichte hat im Zweiten Weltkrieg begonnen, an dem Anton Müller als Panzerfahr­er im Afrika Korps teilnehmen musste. Dort geriet er in amerikanis­che Gefangensc­haft – ein Umstand, der ihn womöglich vor dem Tod, in jedem Fall vor viel Elend bewahrt hat, denn dem Laupheimer ging es im Camp Fort Leonhard im US-Bundesstaa­t Kansas vergleichs­weise gut. Er sei immer gut behandelt worden, erzählt er später. Er arbeitete in der Lagerküche und lernte sogar die Zaubertric­ks, mit denen er später in Laupheim sein Publikum beeindruck­en konnte. Alleine: Er vermisste seine Verlobte Maria und begann, ihr Briefe zu schreiben, in denen er ihr seine Liebe ausdrückte. Trotz des zunehmend brutaleren Krieges gab es einen Postweg, über den das Paar offenbar zärtliche Worte und Fotos ausgetausc­ht hat. Mindestens zwei gingen verloren, aber diese Briefe sind heute als Dokumente der Zeitgeschi­chte erhalten.

„Die herzlichst­en Grüße“

„Mein liebes kleines Frauchen, ich sende dir heute wiederum die herzlichst­en Grüße und recht liebe Küsse.“Mit diesen Worten beginnt Anton am 14. August 1944 ein Schreiben an seine Verlobte, in dem er sich für zwei Briefe und ein „Fotobild“bedankt. Sie sei ja „kräftiger und hübscher geworden“, stellt der damals 25-Jährige fest und schließt mit einem sehnsuchts­vollen Geständnis: „Und jetzt, du meine süße und zarte Blume, ein kleines Geheimnis in unserer großen Liebe hätte ich dir noch in dein liebes Frauenherz­chen zu legen: Also, meine Holde aller Frauen, ich träume immer sehr viel und ganz lieb von dir.“Diese Worte haben Maria nie erreicht, auch sie ist vor sechs Jahren verstorben.

So einen schönen Brief habe er ihr nie geschriebe­n, gesteht heute Wolfgang Tyttlik seiner Frau Ursula. Die ist ob der zeitlich so fernen wie warmen Worte ihres Vaters an die Mutter ergriffen: „Man liest die Briefe, und plötzlich spricht der Vater zu einem.“So sei er gewesen: „ruhig, aber spaßig und humorvoll.“

Anton Müller musste damals auch nach dem Kriegsende noch ein Jahr in England in Gefangensc­haft verbringen, ehe er am 25. Juni 1946 entlassen wurde und über Hamburg nach Laupheim zurückkehr­te – wo Maria all die Jahre auf ihn gewartet hat. 1947 heiraten sie, und das Paar bekommt fünf Kinder. Er arbeitet zunächst als Maschinene­inrichter und versucht sich dann als selbststän­diger Schlosser – aber ohne Glück, weil die gekaufte Maschine nicht funktionie­rt wie sie soll.

1956 tritt er dann in die neu gegründete Bundeswehr ein, arbeitet im Materialam­t des Heeres in Bad Neuenahr. Dafür verlässt die ganze Familie Laupheim, und das Ehepaar baut schließlic­h in Remagen-Kripp ein Haus. Dort ist Ursula Tyttlik aufgewachs­en, dort sind Anton und später Maria dann auch gestorben. Anton Müller hat aber Recht behalten, als er 1945 zärtlich schrieb, was seine Maria niemals erreicht hat: „Es ist wirkich ein großes Leid, daß ich so weit von dir in der Ferne bin (...) Aber fürchte Dich nicht deshalb, der Tag, wo ich dich wieder eng und fest in meine Arme schließe, ist nicht mehr weit.“

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FOTO: STEPHANIE KUEHR-GILLES DR. Ursula und Wolfgang Tyttlik halten die besondere Post von Anton Müller in Händen: Die Briefe waren 74 Jahre verschwund­en.
 ?? FOTOS: PRIVAT ?? In der Uniform des Afrika Korps: Anton Müller 1943 in Kriegsgefa­ngenschaft.
FOTOS: PRIVAT In der Uniform des Afrika Korps: Anton Müller 1943 in Kriegsgefa­ngenschaft.
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FOTO: PRIVAT Happy End 1947 zwei Jahre nach dem Krieg: Da heirateten Maria und Anton Müller.

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