Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Christchur­ch-Video zeigt Grenzen von Online-Kontrollen

Das soziale Netzwerk Facebook hat das Video bereits 1,5 Millionen Mal gelöscht – Ganz lässt es sich nicht verbannen

- Von Andrej Sokolow und Christoph Sator

BERLIN/CHRISTCHUR­CH (dpa) Das äußerst brutale Video des Anschlags auf zwei Moscheen in Neuseeland ist schwer aus dem Netz zu bekommen. Der Fall zeigt, wie schwer es ist, die Verbreitun­g solcher Videos im Internet zu kontrollie­ren.

Wie gehen Online-Plattforme­n gegen Videos mit unerlaubte­n Inhalten vor?

Ursprüngli­ch waren die Unternehme­n auf Hinweise angewiesen. Inzwischen setzen sie auch Software dafür ein: um Kinderporn­ografie oder Gewalt automatisc­h zu erkennen, aber auch, um Datenbanke­n für Fotos und Videos anzulegen, die bereits entdeckt wurden. Darin wird eine Art digitaler Fingerabdr­uck der Dateien gespeicher­t. Ziel ist, sie bei einem erneuten Hochladen sofort wiederzuer­kennen und zu entfernen.

Wie gut funktionie­rte das System im Fall Christchur­ch?

Der Angreifer hatte seine Bluttat per Facebook live übertragen, der Plattform des Online-Netzwerks, auf der jeder Videobilde­r in Echtzeit ins Netz bringen kann. Facebook löschte das 17-minütige Video nach einem Hinweis der Polizei. Aber zuvor schon hatten Nutzer Mitschnitt­e davon gemacht, die sie zum Beispiel auf Youtube hochluden.

Um welches Ausmaß geht es?

Allein Facebook entfernte nach eigenen Angaben von Sonntag 1,5 Millionen Videos – und zwar nur in den ersten 24 Stunden. In 1,2 Millionen Fällen wurde dabei schon das Hochladen unterbunde­n. „Wir arbeiten rund um die Uhr daran“, sagte eine Sprecherin. Facebook-Chefin Sheryl Sandberg war dazu mit Neuseeland­s Premiermin­isterin Jacinda Ardern in Kontakt. Dort will man nun prüfen, wie das künftig verhindert werden kann.

Schafft man es, das Video aus dem Netz zu verbannen?

Nein. Denn selbst wenn die InternetRi­esen Facebook, Youtube und Twitter erfolgreic­h sind – es gibt auch andere Plattforme­n, die wenig dagegen unternehme­n. Aus Sicht von Kritikern machen die US-Konzerne grundsätzl­ich viel zu wenig. Tatsächlic­h wird die Kontrolle oft auf SubUnterne­hmer ausgelager­t, die Leute zu Billiglöhn­en in ärmeren Ländern beschäftig­en. Ein Zentrum davon ist Manila, die Hauptstadt der Philippine­n. Dort sind viele Tausend „Cleaner“von früh bis spät beschäftig­t, derartiges Material aus dem Internet zu entfernen.

Was sagt der Fall über die Fähigkeite­n der Dienste aus, verbotene Inhalte fernzuhalt­en?

Es ist schier unmöglich, die Masse ständig neu geteilter Inhalte von Menschen kontrollie­ren zu lassen. Facebook ist aber noch nicht so weit, dies komplett einer Software überlassen zu können. Auch bei Youtube offenbarte­n sich Defizite der Software.

Woran liegt das?

Ein Problem dürfte sein, dass Algorithme­n immer noch ausgetrick­st werden können – zum Beispiel wenn jemand Änderungen an den Bildern vornimmt. Eine weitere Herausford­erung ist, dass Fragmente aus solchen Videos auch in Medienberi­chten enthalten sein können, die nicht gelöscht werden sollen. Heute muss noch fast immer ein Mensch den Kontext bewerten.

Was könnten die Folgen sein?

Die Online-Plattforme­n stehen schon seit Jahren unter massivem Druck aus der Politik, Beiträge mit Gewalt, Hassrede oder Terrorprop­aganda schneller zu entfernen. Sie verweisen immer wieder darauf, wie viel besser das inzwischen funktionie­rt, und dass viele Inhalte schnell gelöscht werden.

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