Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Kampfansage aus Fernost
Chinesische Autobauer könnten in Zukunft die Vormachtstellung der deutschen Hersteller gefährden
SHENZHEN/HANGZHOU - Ein Mercedes-Fan ist Li Shufu schon immer gewesen. Als der Gründer und Besitzer des chinesischen Autobauers Geely Anfang 1998 – also lange bevor er als größter Einzelaktionär bei Daimler einstieg – seinen ersten Wagen vorstellte, ähnelte er auffällig den Fahrzeugen des baden-württembergischen Traditionskonzerns. Eine Urheberrechtsklage aus Stuttgart war die Folge, und viele Chinesen nannten Li damals Zaoche Fengzi – verrückter Autobauer.
Diese Zeiten sind lange vorbei, heute kopiert Geely nicht mehr. Das Unternehmen aus Hangzhou im Osten der Volksrepublik setzt eigene Akzente, greift in Design und Optik auf die chinesische Kultur zurück. Der Konkurrent BYD aus Shenzhen im Süden Chinas – der Name steht für „Build Your Dreams“im Sinne von „Verwirkliche Deine Träume“– benennt seine Modellreihen nach großen Herrscherdynastien, die das Reich der Mitte mehr als 2000 Jahre regiert haben.
Äußerlichkeiten, die für das neue Selbstbewusstsein der chinesischen Autoindustrie stehen. Einer Industrie, die die Umbrüche der Branche für sich nutzen und die bislang dominierenden Hersteller überrunden will. „Der Wandel der Mobilität hat längst begonnen. Er dreht sich um China, nicht um Baden-Württemberg oder die westliche Welt“, sagt Jochen Wiedemann, Vorstand beim Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren (FKFS) in Stuttgart. „China, der mit Abstand größte Automobilproduzent der Erde, bildet nun und in absehbarer Zukunft das Zentrum.“
Der chinesische Automarkt ist denn auch seit Jahren mit Abstand der größte der Welt. Hersteller aus China und aller Welt haben dort im Jahr 2017 mehr als 24 Millionen Fahrzeuge verkauft.
Produktion steigt jedes Jahr
Der amerikanische (17,13 Millionen) und europäische Markt (15,14 Millionen) folgen mit großem Abstand. Zwar dominieren den Markt noch ausländische Hersteller, ihr Markteinteil liegt bei mehr als 60 Prozent, aber er bröckelt, weil nicht nur das Selbstbewusstsein der chinesischen Autobauer, sondern auch deren Produktion von Jahr zu Jahr steigt.
Das Land, in dem die meisten Autos hergestellt werden, ist die Volksrepublik sowieso: Nach Angaben des Verbands der Automobilindustrie haben im Jahr 2017 heimische und ausländische Autobauer in der Volksrepublik 24,3 Millionen Autos gebaut – damit liegt China weit vor den Vereinigten Staaten (10,9 Millionen), Japan (8,3 Millionen) und Deutschland (5,6 Millionen). Vor allem im Hinblick auf die Elektromobilität will die Volksrepublik den Wandel anführen. Mit Subventionen und rigiden Gesetzen erzwingt die autoritäre, kommunistische Staatsführung die Wende in der Antriebstechnik. Und das „nicht aus Gutmenschentum“, wie FKFS-Vorstand Wiedemann erläutert, „sondern als Teil der nationalen Sicherheitsstrategie“. Die Volksrepublik müsse heute 80 Prozent ihres Rohölbedarfs importieren und „muss um diesen fürchten, falls es zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den USA käme“. Mit Kohle und erneuerbaren Energien können dagegen jederzeit Strom erzeugt und für den Verkehr genutzt werden.
Anführer der elektrischen Wende ist BYD. Die Schnellstraße am Hauptsitz des Autobauers führt kilometerweit an Produktionshallen mit dem blau-weißen BYD-Emblem vorbei, dazwischen Wohnsilos für die mehr als 30 000 Menschen, die für das Unternehmen in Shenzhen arbeiten. Laut eigenen Angaben verkaufte BYD 2018 mehr als 520 000 Autos, davon war fast die Hälfte voll elektrisch oder mit einem Hybridantrieb, das heißt mit einer Kombination aus Verbrennungs- und Elektromotor, ausgestattet. Gegründet 1995, baut BYD erst seit 2003 Autos, seit das auf Batterietechnik spezialisierte Unternehmen einen angeschlagenen chinesischen Autobauer übernommen hat. Die Erfahrung mit Akkumulatoren und Stromspeichern will BYD für die Vision eines emissionsfreien Verkehrs nutzen, wie die Entwickler des Konzerns immer wieder betonen. So hat das Unternehmen, das weltweit als größter Hersteller von Batteriezellen gilt, die in Handys und Autos eingebaut sind, die Metropole Shenzhen komplett mit BYDElektrobussen ausgestattet.
Doch wird es denn irgendwann genug Strom geben, der nicht aus Kohlekraftwerken kommt, um die Autos in den chinesischen Metropolen und auf der ganzen Welt anzutreiben? „Die Antwort im Moment ist Nein“, sagt Keson Kuang, Chef des globalen Batterievertriebs bei BYD. „Das ist ein Ziel für die Zukunft. Wir versuchen unser Bestes auf dem Weg dorthin.“Elektrobusse von BYD sind bereits in Europa unterwegs, im Herbst lieferte der Fahrzeugbauer dem deutschen Fernbusanbieter Flixbus seinen ersten vollelektrischen Reisebus. „Der nächste Schritt wird dann die Vorstellung unserer Autos in Europa sein“, sagt der für Europa zuständige Manager Morgan Yin. Ob der Elektromotor der Antrieb der Zukunft sein wird oder ob es in den nächsten Jahren noch andere Antworten geben könnte, da will sich BYD nicht festlegen. Das sei schwer zu sagen, da müsse man schauen, was passiert.
Für den Konkurrenten Geely ist diese Frage dagegen beantwortet. Der Elektromotor sei eine Übergangslösung. „Danach werden wir die Brennstoffzelle sehen, das wird die finale Antriebsart der Zukunft sein“, sagt Geely-Kommunikationschef Victor Young.
Nicht nur bei der Beantwortung der Antriebsfrage, auch bei der Expansion nach Europa ist das Unternehmen aus Hangzhou weiter. Noch in diesem Jahr soll in Belgien die Produktion für das Modell 01 der GeelyUntermarke Lynk & Co. starten, das der Autobauer 2020 als Hybrid auch in Deutschland anbieten will. Auch Geely arbeitet an der Vision des emissionsfreien Fahrens. 2010 übernahm der Konzern den traditionsreichen Autobauer Volvo aus Schweden: Die Entwicklung des Verbrennungsmotors hat Volvo eingestellt, alle neuen Modelle haben einen Elektroantrieb. Die meisten Elekroautos werden aber in China verkauft: Nach Schätzungen des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch-Gladbach waren es 2018 mehr als 1,2 Millionen Fahrzeuge. Es folgen die USA (356 000), Norwegen (73 000) und Deutschland (68 000).
Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) war vor wenigen Tagen bei ihrem Besuch in China jedenfalls nicht nur wegen der Dynamik der elektromobilen Wende beeindruckt.
„Bei den chinesischen Unternehmen sind große Fortschritte erkennbar, wenngleich unsere Fahrzeughersteller gerade auch im für unsere Unternehmen relevanten PremiumSegment die Nase vorne haben“, sagt die Ministerin der „Schwäbischen Zeitung“mit Blick nicht nur auf Autobauer wie Geely, Dongfeng oder Great Wall, sondern auch auf junge Unternehmen wie Byton, Weltmeister und Nio.
Die chinesischen Konzerne „haben sich zwischenzeitlich zu starken Wettbewerbern für unser Auslandsgeschäft in China entwickelt und werden zu Recht ernstgenommen“, erklärt Hoffmeister-Kraut weiter. Für die deutschen Autobauer komme es nun drauf an, einen Spagat zu meistern: Sie müssten sicherstellen, dass sich die Investitionen in konventionelle Antriebe für sie noch rechnen, dabei aber die Innovationsführerschaft behalten.
„Ohne Dieselskandal wäre die deutsche Autoindustrie in ihrer Zukunft stärker gefährdet als mit Dieselskandal.“Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer
Dieselskandal als Katalysator
Doch bei allem Selbstbewusstsein der Chinesen, noch reichen Qualität und Technologie nicht aus, um die deutschen Autobauer ernsthaft zu gefährden. Davon ist jedenfalls Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer überzeugt. „Bei den Chinesen sind Autobauer wie BYD mit einfachen Batterie- und Automodellen im Markt. Neue Marken wie Aiways, Byton oder Weltmeister starten erst in einigen Monaten. Einen richtigen Vorsprung haben die chinesischen Autobauer hier nicht“, so der Leiter des Center of Automotive Research (CAR) der Universität Duisburg-Essen der „Schwäbischen Zeitung“. „Es gibt einen, der Elektroautos richtig gut kann – und das ist Tesla.“
Dudenhöffer ist zuversichtlich, dass es am Ende nicht Unternehmen wie Geely und BYD sein werden, die triumphieren – und zwar aus einem ganz bestimmten Grund: dem Dieselskandal. „Er hat Deutschland und die Autobauer und Zulieferer richtig wach gerüttelt“, sagt der CAR-Chef. „Ohne Dieselskandal wäre die deutsche Autoindustrie in ihrer Zukunft stärker gefährdet als mit Dieselskandal.“Das klingt überraschend – und könnte Autobauern wie Daimler, BMW und Volkswagen Mut machen. Den können sie im Wettbewerb mit den chinesischen Konzernen auch gut gebrauchen.