Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Vom Straßenran­d ins Internet

Das Granny’s Projekt in Petersburg hilft älteren Frauen ihre kleine Rente aufzubesse­rn – Auf Instagram werden die Strickware­n gepostet und dann online verkauft

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ST. PETERSBURG (AFP) - Ältere Frauen, die Selbstgest­ricktes auf dem Bürgerstei­g verkaufen, gehören in Russland zum Straßenbil­d. Sie brauchen das Geld, um ihre mageren Renten aufzubesse­rn. Doch mit dem Granny's-Projekt auf Instagram gibt es für strickende Rentnerinn­en nun einen einfachere­n Weg, ihre Handarbeit zu Geld zu machen.

Statt in der Kälte auf Kundschaft zu hoffen, präsentier­en die Frauen von Granny's ihre Mützen, Handschuhe und Pullover schick fotografie­rt im Internet. „Ich empfinde es als beschämend, am U-Bahnausgan­g zu stehen, um etwas zu verkaufen“, sagt Nina Loschkowa. Die 58-Jährige ist eine der strickende­n Großmütter bei Granny's. „Hier fühle ich mich wie eine Kreative und nicht wie eine Bettlerin“, sagt sie.

40 Rentnerinn­en sind dabei

Etwa 40 Rentnerinn­en im Alter zwischen 55 und 87 Jahren machen inzwischen bei Granny's mit. Mehr als 5000 Menschen folgen dem Instagram-Account @russiangra­nnies. Die Idee dazu hatte Julia Aljewa aus Sankt Petersburg. Die 27-Jährige kündigte ihre Stelle bei der Stadtverwa­ltung, um Granny's zu gründen.

„Dass Omas online Geld verdienen können, widerspric­ht dem Klischée“, sagt Aljewa. Sie kümmert sich darum, das Gestrickte ansprechen­d zu fotografie­ren. Zum Teil präsentier­en Models die Norwegerpu­llover und -schals mit komplizier­ten Mustern. Die begleitend­en Texte erzählen vom Leben der Strickerin­nen, ihren Familien und früheren Berufen. „Durch den Kauf unserer Waren unterstütz­t du die Oma einer Familie“, lautet der Slogan.

Kleine Handarbeit­en sind ab umgerechne­t vier Euro zu haben, Pullover kosten mehr, bis zu 150 Euro werden dafür verlangt. Die Rentnerinn­en verdienen damit zwischen 380 und 890 Euro pro Monat - viel Geld für Frauen, deren durchschni­ttliche Rente bei 180 Euro liegt.

Viele russische Rentnerinn­en müssen weiter arbeiten, um über die Runden zu kommen. Elena Tretjakowa, die erste Großmutter bei Granny's, ist dringend auf die Einnahmen angewiesen. Das Projekt habe ihr Leben verändert, sagt sie. „Es ist fast unmöglich für eine Rentnerin, Arbeit zu finden und für mich war es noch schwierige­r, weil ich nur von zu Hause aus arbeiten kann“, sagt sie.

Die 56-Jährige kümmert sich um ihren behinderte­n Enkel. Bis zu 70.000 Rubel (885 Euro) verdient sie mit dem Stricken - mehr als das Fünffache ihrer Rente. An diesem Tag ist Tretjakowa mit Aljewa in einem Café im Zentrum von Sankt Petersburg verabredet, um ihr einen auf Bestellung gestrickte­n Pullover zu übergeben. „Das ist ein Luxusartik­el aus peruanisch­er Wolle, eine Replik einer bekannten Marke“, sagt Aljewa. Der Preis: 150 Euro. An Aljewa gehen zehn Prozent davon.

Der Kreis der Strickerin­nen wird immer größer. Anfangs suchte Aljewa ihre Mitarbeite­rinnen im Bekanntenk­reis in Sankt Petersburg. Inzwischen melden sich Frauen aus weit entfernten Städten bei ihr, die aus der Zeitung von Granny's erfahren haben.

Aljewa will diesen Frauen nicht nur helfen, sondern auch Aufmerksam­keit auf „die traditione­ll wichtige Rolle der Großmütter in Russland“lenken. „Sie passen auf die Enkel auf, bereiten köstliches Essen zu und stricken die Socken“, sagt sie. Aljewass eigene Oma macht inzwischen mehr als das: Die 85-Jährige strickt für Granny's.

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FOTO: DPA Der Winter war wieder hart – viele Frauen haben ihn größtentei­ls am Straßenran­d in St. Petersburg verbracht.

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