Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Im begehbaren Farbenmeer
Ausstellung zeigt Werke von Lotte Günther mit raumübergreifenden Installationen
ULM - „Kreisen“ist der Titel der Ausstellung von Lotte Günther im Kunstverein Ulm. Ein überaus zutreffender Begriff, beschreibt er doch nicht nur die große Installation am Eingang des historischen Schuhhaussaals oder die kreisrunden Formen in ihrer Malerei, sondern den Arbeitsprozess der 1983 geborenen Künstlerin an sich.
Bevor der Ausstellungsbesucher hinein kann in die leuchtende Farbwelt, muss er sich hineinwagen in eine Installation aus Satinbändern, die an kreisrunden Führungsschienen angebracht sind - die sich langsam und stetig drehen. Der Effekt dieser Arbeit, die Günther eigens für den Ulmer Kunstverein erdacht hat, ist ebenso einfach wie packend: Die farbigen Bänder bewegen sich sanft, wodurch die Assoziation zu sehr langsam tanzenden Figuren und auch farbstarken Kostümen aufkommt. Keine schlechte Assoziation im Schuhhaussaal, den das Ulmer Patriziat auch als Tanzsaal schätzte.
Das stetige leise Surren der Elektromotoren, die das ganze antreiben, empfängt den Besucher schon im Treppenhaus und hat dessen Fantasie im Idealfalle schon auf Touren gebracht, wenn er vor der Installation steht und sich fragt, ob er hindurchgehen darf. Er darf nicht nur - er soll. Eine Art von „Barriere“, durch die der Betrachter geführt wird, wenn er zur Malerei und zu den Objekten vordringen will, die den Raum bevölkern. „Bevölkern“ist in diesem falle durchaus ernst zu nehmen, wirken die kleinen Objekte aus hundertfach geknüpften und zu dichtgefügten Ballungen zusammengefassten Satinbänder wie Lebewesen, organische Strukturen, die kalt schimmernde keramische Objekte umschlingen und überwuchern. Hier ist ein erster Gedanke ans Meer, der sich vertieft bei der Betrachtung der Gemälde. Gut, die angedeuteten Horizontlinien, die wie Gischt wirkenden weißen Punkte oder die wellenartigen Linien in den Bildern lassen den Gedanken an Wasser schnell aufkommen.
Doch es ist etwas anderes, das den Eindruck von Bewegung, Wellen und wasserartiger Eleganz verstärkt: Es ist das Konzept der Endlosigkeit. Jedes Bild scheint nur ein kleiner Ausschnitt zu sein aus einem sehr viel größeren Bild, und jede Bewegung des einen Bildes findet seine Fortsetzung im nächsten Werk. Die Herstellung mittels metallischer Pigmentfarbe, die nur in bestimmten Betrachterpositionen aufschimmert wie auch die Neigung der Künstlerin zu maritimen Farben Grün, Blau, Weiss - trägt diesen Effekt. Was Lotte Günther, die Ateliers in Berlin und im Moselgebiet unterhält, auszeichnet, ist ihr Beharrungsvermögen. Und der, wie sie selbst sagt, „völlig unökonomische Arbeitsprozess“, der jedem Werk vorausgeht.
Sie kreist ihre Motive ein, sie nährt sich ihnen an. Die Arbeiten erhalten durch den Freiraum, in dem sie entstehen, eine besondere Präsenz. Die Harmonie der Farben und Formen, das Fokussieren auf eine begrenzte Auswahl an Ausdrucksmitteln ist kennzeichnend für den Reiz der Arbeiten. In Günthers Arbeiten ist, wie beim Element Wasser, alles in Bewegung, sobald der Betrachter sich traut, diese Bewegung mitzumachen. Zugleich ist dieser Ausstellung ein Geschmak von Wehmut mitgegeben: Es ist die letzte Ulmer Ausstellung von Katharina Ritter, die den Kunstverein seit 2017 leitete.