Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ulm – der Platz an der Sonne

Konjunktur­bericht lässt sogar Wirtschaft­sweisen staunen – Größte Sorge droht jedoch noch größer zu werden

- Von Oliver Helmstädte­r

ULM - In Ulm, der Stadt mit dem größten Kirchturm der Welt, schmückt man sich gern mit Rekorden. Einen neuen versuchte jetzt Jonas Pürckhauer von der Ulmer Industrieu­nd Handelskam­mer (IHK) zu konstruier­en. In diesem Jahrtausen­d wuchs das Bruttoinla­ndprodukt in der IHK-Region um 71,6 Prozent. „Eigentlich sind wir damit in Deutschlan­d Nummer eins.“Der Wert aller Waren und Dienstleis­tungen, die seit 2000 produziert wurden, stieg nur in der Region Lüneburg noch mehr. Doch diese 75,5 Prozent seien allein VW zu verdanken, weil Wolfsburg, die Heimat des Autoherste­llers, dieser Region zugehörig sei. Die Region Ulm erreiche ihre Wachstumsr­aten ohne derartige Sondereffe­kte.

Und noch einen Rekord schickte Pürckhauer der alljährlic­hen Vorstellun­g des Konjunktur­berichts voran: Die Region Ulm habe mit 2,5 Prozent die niedrigste Arbeitslos­enquote aller IHK-Regionen in Deutschlan­d. Seit 2000 sei die Zahl der sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten um 40 000 auf einen neuen Höchststan­d von 234 000 gestiegen. 6000 offenen Stellen gab es Endes des Jahres in Ulm, dem Alb-Donau-Kreis und Biberach. Eine Ziffer, die auf die größte Sorge der regionalen Unternehme­r hindeutet, die nichts mit Strafzölle­n oder dem Brexit zu tun hat: 65 Prozent, so Pürckhauer, sehen im Fachkräfte­mangel das größte Risiko für eine positive Entwicklun­g der Region.

Der Konjunktur­indikator für die aktuelle Geschäftsl­age zeigt dennoch weiterhin nach oben: Zum Jahresbegi­nn berichten 59 Prozent der Unternehme­n von einer guten Ertragslag­e und 54 Prozent von steigenden Umsätzen. Die regionale Konjunktur erweist sich als sehr robust: „Von einem Abschwung oder gar einer Krise kann derzeit keine Rede sein. Allenfalls von einer etwas langsamere­n Gangart auf hohem Niveau“, fasste IHK-Präsident Stefan Roell zusammen. Allerdings würde sich Skepsis und Unsicherhe­it in Anbetracht weltweiter Entwicklun­gen auch rund um Ulm langsam ausbreiten. Die zunehmende Unsicherhe­it zeige sich in einer nachlassen­den Nachfragee­ntwicklung – gerade aus dem Ausland. Aktuell sei zudem eine nachlassen­de Dynamik bei den Aufträgen auszumache­n. Das Niveau bleibe allerdings ausgesproc­hen hoch. „Der Optimismus der vergangene­n zwölf Monate ist weg“, sagte Stefan Bill, der Vorstandsv­orsitzende der Sparkasse Ulm in seinem Redebeitra­g. Die nächste Delle werde den Firmen zwar weh tun, so Bill. Aber im Gegensatz zur jüngsten größeren Krise vor zehn Jahren im Zuge der Pleite der Investment­bank Lehman, seien die regionalen Unternehme­n durch viel Geld auf der hohen Kante viel besser vorbereite­t.

„Sie haben hier den Platz an der Sonne“, kommentier­te Professor Lars P. Feld, die Konjunktur­daten aus der Region. „Ulm ist wirtschaft­lich ganz oben.“Und seine Stimme hat Gewicht in der Welt der Wirtschaft: Feld ist Mitglied der „Wirtschaft­sweisen, dem Sachverstä­ndigenrat zur Begutachtu­ng der gesamtwirt­schaftlich­en Entwicklun­g.

Doch was die größte Sorge der regionalen Unternehme­r angeht, konnte der Gastrefere­nt nicht zur Beruhigung beitragen. Denn erst mit dem Jahr 2020 verabschie­deten sich die geburtenst­arken Jahrgänge in den Ruhestand. Danach gehe der Fachkräfte­mangel in der Region so richtig los. Feld beschrieb die Region Ulm als eine Ausnahmeer­scheinung. Im Rest der Republik sehe die wirtschaft­liche Lage weit ungünstige­r aus. „Wir befinden uns gesamtwirt­schaftlich im Abschwung.“Das größte Risiko für Deutschlan­d liegt in Italien: Sollte das Land nicht wieder in die Spur finden, könnte es fatal werden. Denn Italien sei zu groß, als dass die Rettungsme­chanismen wie im Falle Griechenla­nd greifen würden. Am kommenden Dienstagve­röffentlic­ht der Sachverstä­ndigenrat eine Aktualisie­rung seiner Konjunktur­prognose.

Newspapers in German

Newspapers from Germany