Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Ulm – der Platz an der Sonne
Konjunkturbericht lässt sogar Wirtschaftsweisen staunen – Größte Sorge droht jedoch noch größer zu werden
ULM - In Ulm, der Stadt mit dem größten Kirchturm der Welt, schmückt man sich gern mit Rekorden. Einen neuen versuchte jetzt Jonas Pürckhauer von der Ulmer Industrieund Handelskammer (IHK) zu konstruieren. In diesem Jahrtausend wuchs das Bruttoinlandprodukt in der IHK-Region um 71,6 Prozent. „Eigentlich sind wir damit in Deutschland Nummer eins.“Der Wert aller Waren und Dienstleistungen, die seit 2000 produziert wurden, stieg nur in der Region Lüneburg noch mehr. Doch diese 75,5 Prozent seien allein VW zu verdanken, weil Wolfsburg, die Heimat des Autoherstellers, dieser Region zugehörig sei. Die Region Ulm erreiche ihre Wachstumsraten ohne derartige Sondereffekte.
Und noch einen Rekord schickte Pürckhauer der alljährlichen Vorstellung des Konjunkturberichts voran: Die Region Ulm habe mit 2,5 Prozent die niedrigste Arbeitslosenquote aller IHK-Regionen in Deutschland. Seit 2000 sei die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um 40 000 auf einen neuen Höchststand von 234 000 gestiegen. 6000 offenen Stellen gab es Endes des Jahres in Ulm, dem Alb-Donau-Kreis und Biberach. Eine Ziffer, die auf die größte Sorge der regionalen Unternehmer hindeutet, die nichts mit Strafzöllen oder dem Brexit zu tun hat: 65 Prozent, so Pürckhauer, sehen im Fachkräftemangel das größte Risiko für eine positive Entwicklung der Region.
Der Konjunkturindikator für die aktuelle Geschäftslage zeigt dennoch weiterhin nach oben: Zum Jahresbeginn berichten 59 Prozent der Unternehmen von einer guten Ertragslage und 54 Prozent von steigenden Umsätzen. Die regionale Konjunktur erweist sich als sehr robust: „Von einem Abschwung oder gar einer Krise kann derzeit keine Rede sein. Allenfalls von einer etwas langsameren Gangart auf hohem Niveau“, fasste IHK-Präsident Stefan Roell zusammen. Allerdings würde sich Skepsis und Unsicherheit in Anbetracht weltweiter Entwicklungen auch rund um Ulm langsam ausbreiten. Die zunehmende Unsicherheit zeige sich in einer nachlassenden Nachfrageentwicklung – gerade aus dem Ausland. Aktuell sei zudem eine nachlassende Dynamik bei den Aufträgen auszumachen. Das Niveau bleibe allerdings ausgesprochen hoch. „Der Optimismus der vergangenen zwölf Monate ist weg“, sagte Stefan Bill, der Vorstandsvorsitzende der Sparkasse Ulm in seinem Redebeitrag. Die nächste Delle werde den Firmen zwar weh tun, so Bill. Aber im Gegensatz zur jüngsten größeren Krise vor zehn Jahren im Zuge der Pleite der Investmentbank Lehman, seien die regionalen Unternehmen durch viel Geld auf der hohen Kante viel besser vorbereitet.
„Sie haben hier den Platz an der Sonne“, kommentierte Professor Lars P. Feld, die Konjunkturdaten aus der Region. „Ulm ist wirtschaftlich ganz oben.“Und seine Stimme hat Gewicht in der Welt der Wirtschaft: Feld ist Mitglied der „Wirtschaftsweisen, dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Doch was die größte Sorge der regionalen Unternehmer angeht, konnte der Gastreferent nicht zur Beruhigung beitragen. Denn erst mit dem Jahr 2020 verabschiedeten sich die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand. Danach gehe der Fachkräftemangel in der Region so richtig los. Feld beschrieb die Region Ulm als eine Ausnahmeerscheinung. Im Rest der Republik sehe die wirtschaftliche Lage weit ungünstiger aus. „Wir befinden uns gesamtwirtschaftlich im Abschwung.“Das größte Risiko für Deutschland liegt in Italien: Sollte das Land nicht wieder in die Spur finden, könnte es fatal werden. Denn Italien sei zu groß, als dass die Rettungsmechanismen wie im Falle Griechenland greifen würden. Am kommenden Dienstagveröffentlicht der Sachverständigenrat eine Aktualisierung seiner Konjunkturprognose.