Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Nur ein Minimalkonsens
Reformen, aber kein radikaler Umbau – Rentenkommission überlässt Brisantes der Politik
BERLIN - Auf dem letzten Teilstück der Arbeit der Rentenkommission gab es noch kräftigen Zoff. Der auf Seiten der Wissenschaft leitende Sozialforscher Axel Börsch-Supan war über den mangelnden Reformwillen der Politiker und Sozialpartner so erzürnt, dass er dem Vernehmen nach Sitzungen fernblieb oder sie mit dem Hinweis auf eine Erkältung schnell wieder verließ. Die Verständigung auf einheitliche Empfehlungen für eine nachhaltige Entwicklung der Alterssicherung stand auf der Kippe. Auf einen gemeinsamen Bericht haben sich die zehn Mitglieder aus Politik, Wissenschaft und Sozialpartnern nach knapp zwei Jahren dann doch geeinigt. Doch das Ergebnis, das sowohl Börsch-Supan, als auch Gewerkschaften und Arbeitgeber in Teilen ablehnen, ist dürftig.
Die zentrale Empfehlung besteht in einer Veränderung der bis 2025 geltenden Haltelinien beim Rentenniveau und dem Beitragssatz. Derzeit dürfen die Beiträge unter 20 Prozent des Bruttolohnes liegen und das Rentenniveau über 48 Prozent des letzten Nettolohnes vor Steuern. Bis 2032 soll das Niveau zwischen 44 und 49 Prozent, der Beitragssatz zwischen 20 und 24 Prozent gehalten werden. Mitte des Jahrzehnts plädieren die Fachleute auf die Gründung eines Alterssicherungsbeirats, der die Haltelinien des nächsten Jahrzehnts erarbeiten soll.
Börsch-Supan bemängelt in seinem Sondervotum, dass mit diesem Kompromiss keine langfristige Verlässlichkeit gegeben ist. Er hätte lieber einen klar bezifferten Kurs, damit sich künftige Rentnergenerationen bei ihrer Vorsorgeplanung darauf einstellen können. Den gibt es im Bericht jedoch nicht: Eine Entscheidung über die diskutierte Anhebung der Regelaltersgrenze wird zum Beispiel auf die Zeit nach 2030 vertagt. Die Gewerkschaften wiederum pochen darauf, dass das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent sinken darf, sondern wieder auf 50 Prozent ansteigen soll.
Eine Neuerung schlagen die Experten vor: Sie wollen eine dritte Bezugsgröße für die Berechnung der Rentenansprüche einführen. Sie soll einerseits verhindern, dass die arbeitende Generation mit den Gesamtsozialabgaben überlastet wird. Andererseits soll sie sicherstellen, dass die Renten oberhalb der Grundsicherung für Rentner liegen. Anders als im Vorfeld vermutet, rät die Rentenkommission doch nicht zur Aufnahme neuer Beamter in die gesetzliche Rentenversicherung.
Aufgabe der Kommission war auch, Vorschläge für die Weiterentwicklung der privaten Altersvorsorge zu entwickeln. Vor allem die Riester-Rente
sorgt seit der Einführung für viel Kritik, weil die Kosten hoch, die spätere Rente wegen vieler Auflagen niedrig ist. Die Kommission plädiert für den Aufbau einer staatlich organisierten digitalen Plattform für provisionsfreie Riester-Angebote. Zudem plädieren die Fachleute für ein staatliches Standardprodukt für die private Altersvorsorge. Wenn sich die Riester-Rente bis Mitte des Jahrzehnts nicht weiter verbreitet, soll eine verpflichtende private Vorsorge geprüft werden.
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) begrüßt das Ergebnis. „Wenn die Bundesregierung die Vorschläge aufgreift und umsetzt, wäre das auch ein positives Signal an die jungen Menschen, die darauf vertrauen können, dass die Rentenversicherung auch auf lange Sicht stabil sein wird“, sagt DRV-Präsidentin Gundula Roßbach. Sie verweist allerdings auch auf die aktuelle Wirtschaftsentwicklung, die den Annahmen der Kommission einen dicken Strich durch die Rechnung machen könnte. Kritik kommt vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv). Für Verbraucher sei das Ergebnis enttäuschend, weil es keinen kostengünstigen Ersatz für die Riester-Rente vorsehe, sagt vzbv-Chef Klaus Müller.