Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Suche nach den Gespenstern des Kommunismus
Ismail Kadares Sammelband „Geboren aus Stein“gibt Einblicke in die Kindheit des Autors
Den Literaturnobelpreis, für den er so oft gehandelt wurde, hat Ismail Kadare immer noch nicht bekommen. Vielleicht ist das auch gut so. In seinen Romanen hat der Schriftsteller zwar durchaus Kritik am kommunistischen Regime in Albanien geübt. Doch seine Kritiker verwiesen immer wieder darauf, dass er als Parlamentsabgeordneter und Funktionär doch jahrelang selbst Teil des Systems gewesen sei. Kadare hat sein Heimatland erst im Oktober 1990 verlassen. Es gibt Preisträger, die müssen für weit weniger schon einen öffentlichen Shitstorm über sich ergehen lassen.
Aber weil es nicht Sache der Literaturkritik ist, moralische Urteile zu fällen, soll es hier nicht um Politik gehen, sondern um Kadares neues Buch „Geboren aus Stein“. Schon der Titel erinnert an seinen 1971 erschienenen Roman „Chronik in Stein“, der wie auch die neuen Texte autobiografisch motiviert ist. Während die Erzählungen „Narrendinge“(2004), „Eine Geschichte aus drei Zeiten“(1986) und „Wie Hamlet mir half, die Gespenster zu vertreiben“(2004) in der 20-bändigen Werkausgabe schon auf Deutsch erschienen sind, liegt der Kurzroman „Die Puppe“(2013) jetzt erstmals in einer Übersetzung (Joachim Röhm) vor.
Ist ein solcher Sammelband sonst oft der Profitgier eines Verlages geschuldet, so macht er in diesem Fall wirklich Sinn, weil alle vier Texte in die Kindheit des 1936 in Gjirokastra geborenen Literaten zurückführen und motivisch miteinander verbunden sind.
Eine Kindheit, in der die wichtigste Neuigkeit des Jahres 1953 nicht der Tod Stalins war, sondern die Entdeckung, dass in der örtlichen Apotheke plötzlich Präservative zum Sortiment zählten. Oder hängt das eine etwa mit dem anderen zusammen und ist nach dem Ableben des Diktators nur ein Ausdruck für eine „Lockerung des Regiments“?
Mit der ihm eigenen Ironie erzählt Kadare, wie er und sein Freund Ilir nach den immer wieder beschworenen Gespenstern des Kommunismus suchen. Lenin mit seiner „Gutherzigkeit“kann ja wohl nicht gemeint sein. „Einen größeren Waschlappen konnte man sich gar nicht vorstellen.“Und Stalin, der als „Genie des Bösen“gilt? Bei der Vorstellung halten Ismail und Ilir sich die Bäuche vor Lachen. Ausgerechnet Väterchen Stalin, „der tattrigste aller Tattergreise“.
Bleibt als letzte Hoffnung nur Enver Hoxha, dieser vielleicht blutigste aller Despoten, der in Albanien mit eiserner Hand regierte und nach Stalins Tod seine Landsleute aus der Sowjetunion zurückdelegierte, weil er die Tauwetterperiode unter Chruschtschow nicht dulden wollte. In seinem Roman „Die Dämmerung der Steppengötter“(1978) hat Kadare eindrucksvoll davon erzählt. Er selbst studierte zu dieser Zeit am Literaturinstitut in Moskau.
Wieder zeichnet Ismail Kadare seine Heimat Albanien als kommunistisches Absurdistan. Wenn die Tante ihr Brot selber backen will, weil sie das gekaufte nicht verträgt, wird das vom schonungslosen Parteikomitee als „typischer Ausdruck des bourgeoisen Individualismus“kritisiert. Und der offiziell als „paranoid, unmoralisch, syphilitisch“verfemte Sigmund Freud wird in einem geheimen Rundschreiben den Polizisten ans Herz gelegt, damit sie mit seinen psychoanalytischen Techniken beim Verhör mehr aus kritischen Schriftstellern herausbekommen.
Wie schalkhaft und fabulierfreudig Ismail Kadare über die bitter ernsten Dinge schreibt, ist einfach entwaffnend. Mit Kinderaugen blickt er auf sein Land und führt den Kommunismus so ad absurdum. Wer einmal eines seiner herzerfrischenden Bücher gelesen hat, kann sich dem Sog dieses großen Erzählers nicht mehr entziehen. Versprochen!
Ismail Kadare: Geboren aus Stein. Verlag S. Fischer, 288 Seiten, 23 Euro.