Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Begegnung mit dem Multiinstrumentalisten
Ulmer Musiker Friedrich Glorian sucht nach dem „Inneren“
ULM - Wie sieht der Alltag einer Schriftstellerin aus? Was macht eigentlich ein Dramaturg? Und wer sind all die Menschen hinter den Kulissen? Diesen Fragen gehen wir in unserer Serie „Eine Begegnung mit ...“nach. Vorgestellt werden Persönlichkeiten und Charakterköpfe aus dem kulturellen Leben der Region, vom Intendanten bis zum Dichter. Sie erzählen von ihrem Beruf, ihrer Berufung und ihrer Motivation – und wie sie wurden, was sie sind. Auch in Zeiten der Corona-Sorgen wird die Porträtreihe fortgesetzt. Diesmal geht es um den Multiinstrumentalisten Friedrich Glorian.
Es ist eine Rückkehr zu den Anfängen, und es ist doch alles ganz anders: „Im Moment beschäftige ich mich wieder viel mit der E-Gitarre“, erzählt der Ulmer Avantgarde-Musiker und Multi-Instrumentalist Friedrich Glorian. Wobei sich ein weiter Bogen in seinem Leben spannt von der ersten E-Gitarre, die sich der Ulmer Gymnasiast zur Konfirmation gewünscht hatte und seiner heutigen, innerlichen und improvisierten Musik – ein weiter Bogen der Cross-Culture-Beschäftigung, ein weiter Bogen vom Nachspielen der Musik berühmter Bands seiner Jugend in den 60ern bis zum immer stärkeren Nach-innen-Gehen des Musikers, dem Dogmen aller Art inzwischen zuwider sind. „Das Äußerliche interessiert mich heute nicht mehr“, sagt Friedrich Glorian. „Ich bin auf der Suche nach dem Inneren.“
„’Professor Wolfff’ eine neue Ulmer Beatgruppe“steht als Untertitel über einem alten Zeitungsartikel, der über ein Konzert der Band „Professor Wolfff“berichtet, die in den ganz frühen 70ern bereits Deutschrock machte. Friedrich Glorians Augen leuchten verträumt-wehmütig, während er ein Exemplar der einzigen Platte auf den Tisch legt, die die Band jemals auf den Markt brachte; das Cover hatte Helmut Hattler gestaltet.
Nur eine Platte, aber zahllose Konzerte in Klubs und einen Auftritt im ARD-Talentschuppen hatte die Band, die einer der ersten Vertreter des Progressive Rock war. „Krautrock“nannte man den Fusion-Stil jener Bands, die sich durch eigene Interpretationen anglo-amerikanischer Jazz-Rock-Funk-Musik auszeichneten. Doch auch wenn Friedrich Glorian Lead-Gitarrist und Sänger von „Professor Wolfff“war, sucht man seinen Namen auf der Besetzungsliste vergeblich: Damals hieß der junge Ulmer Musiker mit dem sensiblen Blick und den langen Haaren noch Friedrich (oder Fritz) Herrmann, als der er 1950 geboren wurde. Wie er auf den Namen „Glorian“ kam? „Als ich mich als Komponist bei der Gema anmeldete, sagte man mir, dass es den Namen Friedrich Herrmann schon gebe. Deshalb hab ich dann den Mädchennamen meiner Großmutter gewählt, die mir sehr nah war“, erzählt der Künstler.
Friedrich Glorians erste musikalische Laufversuche gelangen aber sehr viel früher, mit 15 in der SchülerBand „Second Thought“.
„Wir haben Wettbewerbe gespielt und im Konzertsaal in Neu-Ulm und in Klubs, das war richtig gut.“Und meist hatten die Schüler Glück, wenn die Polizei um 22 Uhr zur Kontrolle in die Klubs der Amerikaner kam, um Minderjährige nach Hause zu schicken. Denn dass die Musiker selbst auch zu jung waren, fiel nicht unbedingt auf. Im Konzertsaal traten „Second Thought“als Vorband von Tony Sheridan auf, der zuvor mit den Beatles eine Platte aufgenommen hatte. Und: „In St. Georg gab es einen Pfarrer, der war dermaßen cool, der machte Beat-Messen mit uns.“Bei der Tauglichkeitsprüfung für den Militärdienst überzeugte Friedrich Glorian den Arzt dann eher von seiner Untauglichkeit: „Herr Herrmann, ich glaube, es ist besser, wenn Sie bei der Gitarre bleiben“, sei dessen Ergebnis gewesen. „Militärdienst wäre für mich sowieso nie gegangen“, sagt Friedrich Glorian.
Sein Jazz-Studium in München brachte ihn in Kontakt mit der dortigen freien Theaterszene. „Das war mein Spielplatz, während meine Eltern beruhigt waren, weil ich ein Studium mache.“
In München lernte er subversive Aspekte der Rockmusik kennen, hier machte er Straßentheater. „Wir haben da ganz verrückte Sachen gemacht wie die Vermählung von Kunst und Wissenschaft, die wir als ,Vermehlung’ zelebriert haben.“Und Glorian begann, die jungen Frauen um ihn um ihre Einfühlsamkeit zu beneiden. „Ich hatte auch etwas von der Schroffheit meines Vaters und wollte mir die Chance geben, es anders zu machen.“
Gesangs- und Percussion-Studien in Indien brachten ihn auf den Weg der Weltmusik, er gründete 2004 das Weltmusik-Projekt „setu.Bandh“mit Musikern aus verschiedenen Kulturen. Durch seine Beziehung mit der früheren Tänzerin und heutigen Choreografin Sheela Raj beschäftigt sich der Künstler viel mit zeitgenössischem Tanz und Tanzperformances. „Aktuell komponiere ich neue experimentelle und elektronische Musik für zeitgenössische Tanz- und Multimedia-Projekte und Kunst-Installationen“, erzählt Friedrich Glorian, der demnächst auch Dozent für Rhythmik an der Stuttgarter Weltmusik-Akademie sein wird.