Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Eine merkwürdige Distanz
In Corona-Zeiten verändert sich die Art, Gottesdienste zu feiern – auch an Ostern
NEU-ULM/ROGGENBURG - Ostern. Bilder von Karfreitags- und Ostergottesdiensten in früheren Jahren kommen hoch. Der Karfreitag der Kindheit in der schwäbischen Kleinstadt, die Rätschen der Ministranten, die „in die Zeremonien“riefen, ehe der lange Gottesdienst am Karfreitagnachmittag begann. Die Kirche so voll, dass man stehen musste, wenn man nicht mindestens eine halbe Stunde zu früh kam. Oder Karfreitag mitten in einer eindrucksvollen nächtlichen Prozession betender Menschenmengen im italienischen Süden. Karfreitag beim Oratorium im Ulmer Münster und später in der Pauluskirche oder beim lebendigen Kreuzweg durch NeuUlm und Ulm. Osternachtsgottesdienst im Ulmer Münster, während die Sonne aufgeht und durch die Fenster scheint, oder in einer Kirche in einem Neu-Ulmer Ortsteil. Und danach immer das Osterfrühstück mit der Familie.
Und dieses Jahr: Ostern im Zeichen von Corona. Der katholische Gottesdienst aus Roggenburg wird am Karfreitag am Computer angeschaut, am Ostersonntag das Video des Gottesdienstes aus der evangelischen Petruskirche in Neu-Ulm.
Der Karfreitagsgottesdienst aus dem Kapitelsaal des Roggenburger Prämonstratenserklosters ist live: Links unten am Computer ist sichtbar, von wie vielen Computern aus gerade zugesehen wird – es sind bis zu 336. Dennoch – genau dieses Gefühl, mit anderen Menschen verbunden zu sein, fehlt: Eine merkwürdige Distanz stellt sich ein. Das Auge sieht den Ablauf
der Riten, das Ohr hört – aber die anderen Sinne bleiben außen vor. Es sind nur die Stimmen einiger Patres, die „Aus der Tiefe rufe ich zu dir“singen. Es fehlen die Größe eines Kirchenraumes, der Glaube der anderen Menschen, es fehlen sinnliche Eindrücke wie der Geruch von Kerzen. Prior Pater Stefan Kling predigt über den „Dauerkarfreitag“, der seit drei Wochen besteht. Über die Existenz ohne Begegnung, ohne Vereinsleben und Feste, über „no party at all“und er kommt auf die alljährlichen Proteste aus der Gesellschaft gegen das Tanzverbot am Karfreitag zu sprechen, das die Freiheit der Nichtgläubigen einschränke. Aber es gebe die Solidarität des Schweigens, sagt er, und warnt scharf vor einer Gesellschaft, in der gesagt wird, an Corona stürben ja nur die Alten und Kranken, bei denen es sowieso bald vorbei wäre. Am Ende weist die Karfreitagspredigt über die Epidemie hinaus. „Wir werden wieder tanzen und feiern.“
Anders als in Roggenburg wurde der Ostersonntagsgottesdienst in der Neu-Ulmer Petruskirche mit Dekan Jürgen Pommer bereits am Samstag aufgenommen – und unter anderem mit Johann Sebastian Bachs „Resurrexit“aus Live-Aufzeichnungen früherer Konzerte untermalt, die Kantor Oliver Scheffels dirigiert hatte. Eine vorsichtige österliche Festlichkeit entsteht dann doch. Eine Premiere war die Aufzeichnung in der leeren Kirche für ihn, er habe sich aber mit den Mitgliedern der Gemeinde verbunden gefühlt, obwohl sie physisch nicht anwesend waren, erzählt Jürgen Pommer, der mit seiner Predigt lange gerungen hatte.
Darin stellte der Dekan die Tage zwischen dem letzten Abendmahl am
Gründonnerstag und dem Tag der Auferstehung am Ostersonntag in Metaphern der Gegenwart während der Epidemie gegenüber: die Gemeinschaft des Abendmahls, die vielen fehlt, das Ausharren der Frauen unter dem Kreuz am Karfreitag, das für diejenigen steht, die in den Krankenhäusern, Altenheimen und zu Hause Erkrankte pflegen und dabei, ohne an das eigene Wohl zu denken, riskieren, selbst infiziert zu werden.
Den lähmenden Stillstand des Karsamstags stellt Pommer dem Shutdown gegenüber – den existenziellen Sorgen auch, die viele Selbstständige quälen, dem Umstand, dass Kranke keinen Besuch erhalten können. In Hoffnung endet auch diese Predigt – mit der Erinnerung an Videos, die sich Menschen zuschicken, der Renaissance, die das Telefon erlebt: allgemein der Verbindung von Menschen, ohne sich zu sehen. Die Fürbitten sind so ganz anders als sonst zu Ostern: Für die Erkrankten und Gestorbenen betet Jürgen Pommer, für die Mediziner und Pflegekräfte, für das Personal in den Supermärkten und für die LKWFahrer, für Forscher, die einen Impfstoff suchen, und für politische Entscheidungsträger, deren Beschlüsse die Weichen stellen für die Gesundheit und das Leben vieler.
Ein merkwürdiges Ostern – vertraute Botschaften anders interpretiert, mit neuer Deutungsschwere, mit Hoffnung auch, mit Gedanken an Menschen, die sonst nicht im Mittelpunkt stehen. Und trotzdem, die WhatsApp-Osterbotschaft der Freunde aus Italien bleibt: dass es solch ein trauriges Ostern nie mehr geben möge.