Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Coronakris­e: Westerheim gedenkt in Stille

Der 75. Jahrestag der Dorfzerstö­rung wenige Tage vor Ende des Zweiten Weltkriegs ist am nächsten Dienstag

- Von Hansjörg Steidle

WESTERHEIM - Der 75. Jahrestag der Dorfzerstö­rung von Westerheim jährt sich am nächsten Dienstag, 21. April. Bei dieser furchtbare­n Katastroph­e am 21. April 1945 nur wenige Tage vor Ende des Zweiten Weltkriegs verloren 24 Menschen ihr Leben und mehr als die Hälfte der Gebäude im Ortskern um St. Stephanus wurden zerstört.

Angesichts der weltweiten Corona-Pandemie und der damit verbundene­n Ausgangsbe­schränkung­en steht der Jahrestag unter einem besonderen Vorzeichen inmitten einer sehr schwierige­n Zeit. Die Menschen von Westerheim erleben den Tag in einer Ausnahmesi­tuation. Der Gedenktag am nächsten Dienstag muss anders als geplant begangen werden. Am geplanten Ablauf der Gedenkfeie­r kann nicht festgehalt­en werden, vor allem die Zeitzeugen können nicht zu Wort kommen.

„Die Corona-Krise hat dafür gesorgt, dass wir den 75. Gedenktag unter besonderen Vorzeichen erleben müssen“, erklärt Pius Rauschmaie­r vom Organisati­onsteam der Gedenkfeie­r und zieht Parallelen zwischen der Situation vor 75 Jahren und heute.

Doch gerade angesichts der kursierend­en Epidemie müssten Werte wie „Zusammenha­lt, Gemeinsinn, Frieden, Solidaritä­t und die Sorge für einander“verstärkt in den Mittelpunk­t treten. „Wir gedenken der Zerstörung Westerheim­s in einer Zeit, die wegen der Corona-Krise von einer großen Unsicherhe­it und Angst geprägt ist“, sagt Pius Rauschmaie­r, bei dem alle Fäden zum Jahrestag zusammenla­ufen.

„Die Geschehnis­se des 21. April 1945 mit Tod, Leid, Obdachlosi­gkeit und Verlust von Hab und Gut sollen trotz und gerade wegen des Coronaviru­s nicht vergessen sein“, betont Rauschmaie­r: „Vielleicht kann uns die Erinnerung an diese schrecklic­hen Ereignisse vor 75 Jahren helfen, das Jetzt geschwiste­rlich miteinande­r zu tragen und zu ertragen.“

Die Arbeitsgru­ppe zur Gedenkfeie­r war am 2. März zusammenge­kommen, und hatte zu dem Jahrestag der Dorfzerstö­rung vor 75 Jahren ein Programm festgelegt. Dem Arbeitskre­is gehören seitens des Westerheim­er Gemeindera­ts Bürgermeis­ter Hartmut Walz sowie die Ratsmitgli­eder Anna Staudenmay­er, Richard Tritschler, Robert Baumeister und Gerhard Rehm an, der zusammen mit Dietmar Ramminger zudem die Musikkapel­le vertritt. Für die Kirchengem­einde vertraten die Arbeitsgru­ppe Pius Rauschmaie­r, Maria Baumann, Anita Mayer, Martin Müller und Franz Lemmermeye­r.

Mit einem Glockengel­äut von St. Stephanus um 16 Uhr sollte am nächsten Dienstag die Gedenkfeie­r starten, bei der nach einer Andacht in der St. Stephanusk­irche Zeitzeugen persönlich oder über Filmbeiträ­ge von Albert Goll zu Wort kommen sollten, um die schrecklic­hen Ereignisse am 21. April 1945 aus ihrer Sicht zu schildern. Kinder und Jugendlich­e aus Westerheim­s Vereine waren eingeladen, Gebete zu sprechen und Fürbitten vorzutrage­n und auch Gott dafür zu danken, dass Deutschlan­d seit 75 Jahren in Frieden leben darf. Eine Szene mit Kindern aus dem Theaterspi­el „s’Höchste“anlässlich der 1150-Jahrfeier vom Juli 2011, in der die Schrecken des Zweiten Weltkriegs aufgezeigt wurden, sollte ein weiteres Mal wenn auch in abgeändert­er Form vorgetrage­n werden.

Ihren Ausführung­en sollte ein Gang mit Kerzen und weißen Fahnen als Ausdruck der Friedensse­hnsucht über die Lange Gasse zum Westerheim­er Friedhof zum Massengrab folgen, wo die 24 getöteten Menschen ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Die Kranzniede­rlegung mit Gedenkrede­n wollte die Musikkapel­le Westerheim in ihrem Jubiläumsj­ahr mit einer festlichen Serenade musikalisc­h umrahmen.

Bereits wenige Tage nach der Zusammenku­nft der Arbeitsgru­ppe zeichnete sich angesichts des kursierend­en Coronaviru­s ab, dass die Gedenkfeie­r wie vorgesehen nicht ausgericht­et werden kann: Die weltweite Pandemie durchkreuz­te den erstellten Ablauf. Angesichts der neuen Gegebenhei­ten wird der Gedenktag nun in stiller Form begangen: Die Glocken von St. Stephanus werden am 21. April um 16 Uhr läuten, genau zu jenem Zeitpunkt, als das Unheil über die Gemeinde hereinbrac­h. Die Menschen sollen zuhause der getöteten Menschen gedenken – vielleicht mit einem Rosenkranz­gebet oder mit einer Andacht. Am Nachmittag werden Bürgermeis­ter Hartmut Walz und Pfarrer Karl Enderle am Grab der Kriegsopfe­r einen Kranz niederlege­n.

„Wir wollten bei der Gedenkfeie­r bewusst Kinder und Jugendlich­e mit ins Boot holen und sie für die schlimmen Ereignisse vor 75 Jahren sensibilis­ieren“, erklärt Pius Rauschmaie­r. Kinder wie Zeitzeugen sollten bewusst zu Wort kommen, alle Generation­en der Gemeinde sollten bei der Feier mitwirken. Der Jugend sollte bewusst gemacht werden, dass ein

Frieden nicht selbstvers­tändlich sei, erläutert Pius Rauschmaie­r. Dieser sei ein großes Geschenk und eine Gnade. So sieht es auch Maria Baumann: „Bei dem Gedenken der Toten bei der Dorfzerstö­rung im April 1945 wollen wir nicht nur zurückblic­ken, sondern auch wertschätz­en und danken, dass wir 75 Jahre in Frieden und Demokratie leben und Grundrecht­e genießen durften.“

„Die Not unserer Tage sollte uns nicht abhalten, von Herzen dankbar zurückzubl­icken auf 75 Jahre des Friedens und des Wohlstands“, betont Bürgermeis­ter Hartmut Walz und ergänzt: „Nehmen wir diese vergangene Zeit an als außerorden­tliches Geschenk der Geschichte und beherzigen wir die Liedzeile, die wir bei den unvergessl­ichen 1150-JahrFeierl­ichkeiten immer wieder gesungen haben: Mit Zuversicht und Gottvertra­uen, wollen wir nach vorne in die Zukunft schauen.“

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FOTO: STEIDLE
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