Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ein Schöngeist auf Abwegen

Ingo Schulze erzählt in „Die rechtschaf­fenen Mörder“vom Abstieg eines Intellektu­ellen

- Von Sibylle Peine

Es gab eine Zeit, da waren Antiquare fast schon Berühmthei­ten. Büchernarr­en pilgerten von weither zu ihnen, um in den Schatzkamm­ern zu stöbern. Der Kult ums Buch und die Liebe zur Literatur einte diese Schöngeist­er. Diese heute nostalgisc­h anmutende Welt lässt Ingo Schulze in seinem neuen Roman „Die rechtschaf­fenen Mörder“wieder auferstehe­n.

Sein Protagonis­t Norbert Paulini ist der Herr der Bücher aus DresdenBla­sewitz. Er ist eine ebenso verschrobe­ne wie geachtete, fast schon mythische Gestalt. Umso befremdlic­her ist die Entwicklun­g, die dieser Bücherfreu­nd nimmt. Die Umwälzunge­n der Zeit spülen ihn an den Rand der Gesellscha­ft, bis er eine verbittert­e Existenz in der tiefsten Provinz führt und ins rechte Fahrwasser abzudrifte­n scheint. Wie konnte es dazu kommen?

In den 70er- und 80er-Jahren ist

Paulinis Antiquaria­t in der „Villa Kate“der Anziehungs­punkt für Bücherfreu­nde und Intellektu­elle der DDR. Paulini selbst ist der Prototyp eines Eigenbrötl­ers, der seiner Liebe zu Büchern alles andere unterordne­t. Dass er politisch unbedarft und uninteress­iert ist, gereicht ihm zum Vorteil. Der Antiquar lebt relativ unbehellig­t in einer typischen Dresdner Intellektu­ellenblase, nicht unähnlich der, die Uwe Tellkamp in seinem Buch „Der Turm“beschreibt.

Die verschiede­nen Besucherty­pen des Antiquaria­ts, darunter auch Schriftste­ller, die ihre Fühler gen Westen ausstrecke­n, beschreibt Schulze eindrückli­ch. Erste Risse zeigen sich, als Paulini eine Friseuse heiratet, die sich später als Stasi-Spitzel entpuppt. Als 1989 die Revolution ausbricht, zieht sich Paulini auf die Position des unpolitisc­hen Geistesmen­schen zurück: „Er sah darin bestenfall­s Zeitversch­wendung, im schlimmste­n Fall ein sinnloses Opfer. Es würde sich sowieso nichts ändern. Er werde dem Staat nicht den Gefallen tun, ins offene Messer zu laufen und sein Antiquaria­t zu gefährden. Zukunft gab es nur für sein eigenes Reich.“

Ab diesem Zeitpunkt aber geht es mit dem Bücherfreu­nd stetig bergab. Denn mit der Wiedervere­inigung kommt der Kapitalism­us, und Paulini weigert sich, irgendwelc­he Konzession­en zu machen. Lukrative Angebote lehnt er ab. Es kommen immer weniger Besucher in sein Antiquaria­t, bis er in der Insolvenz landet und sich an der Kasse eines Supermarkt­s verdingen muss. Am Ende werden er und seine Bücher von einem Hochwasser heimgesuch­t. Er flüchtet mit seinem Sohn in die Provinz.

Letzte Lebenszeic­hen deuten auf eine Radikalisi­erung hin. Vorwürfe bis hin zum Mord werden laut. Doch sind sie auch wahr? Berichtet wird die Geschichte von einem Erzähler, der sich anfangs nur sporadisch zu erkennen gibt, bis er sich als Verfasser einer Paulini-Biografie outet. Allerdings konkurrier­t dieser Schriftste­ller mit Namen Schultze mit dem Antiquar um dieselbe Frau. Seinem Bericht ist nicht unbedingt zu trauen.

Vom Intellektu­ellen zum Rechtsradi­kalen, das wäre eine interessan­te Geschichte, die hier aber nicht wirklich erzählt wird. Durch die Brechung der Perspektiv­en bleibt von Paulini am Ende nur ein verschwomm­enes Bild. Wer in „Die rechtschaf­fenen Mörder“einen brisanten politische­n Roman sucht, wird also eher enttäuscht. (dpa)

Ingo Schulze: Die rechtschaf­fenen Mörder, S. Fischer Verlag, 320 Seiten, 21 Euro

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FOTO: SOEREN STACHE/DPA
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